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Bitte berühren! Bei der Jahresauftaktausstellung in der Handwerksform Hannover ist Anfassen der Exponate ausdrücklich erlaubt..- Der Tastsinn ist eines der wichtigsten menschlichen Wahrnehmungssysteme, um Informationen über die Umwelt erhalten, einordnen und langfristig verarbeiten zu können.

Aber wer kennt das nicht: Man steht im Museum und sieht wunderschöne, exotische und ungewöhnliche Ausstellungsstücke. Schon drückt man sich an der Vitrine die Nase platt und möchte das Objekt gern ergreifen und mit den Händen erfühlen. Aber halt: Anfassen verboten!

In der Auftaktausstellung 2017 in der Handwerksform Hannover ist das anders. Hier wollen wir die Besucherinnen und Besucher auf eine haptische Entdeckungsreise mitnehmen und ihnen gut gestaltete Exponate aus allen Werkbereichen zeigen, bei denen Anfassen ausdrücklich erlaubt ist. 38 Ausstellerinnen und Aussteller aus den Bereichen Glas, Gold und Silber, Holz, Keramik, Korb, Leder, Metall, Spielzeug, Stein und Textil sind mit von der Partie.

Gold und Silber

Martina Dempfs Schmuckobjekte fallen durch die ungewohnte Größe und die ungewöhnlich „wilden“ Konturen besonders ins Auge und wollen auf jeden Fall angefasst werden, schon um herauszufinden, welches Material denn verwendet wurde

Susanne Elstner hat das Ausstellungsthema gleich zum Thema ihrer Schmuckserie „streicheln erlaubt“ gemacht.. Sie arbeitet mit feinsten Drähten in Gold und Silber. So entstehen ungewöhnliche Formen, die natürlich und lebendig wirken und Assoziationen mit Kreaturen aus Flora und Fauna erzeugen. Die filigrane Verarbeitung erzeugt den optischen Eindruck von samtiger Weichheit und ist trotzdem äußerst stabil.

Jil Köhn hat sich den Sanddorn zum Ausgangspunkt ihres Rings „Cuddly Friend“ genommen. Der Sanddorn gehört zur Familie der Ölweidengewächse. Er ist für seine gesunden Inhaltsstoffe sowie seinen wohltuenden ätherischen Geruch bekannt. Doch um die wertvolle Frucht zu gewinnen, muss den Dornen ausgewichen werden, die den Sanddornstrauch zieren. Allem Guten ist das Böse inhärent und allem Bösen auch das Gute – die Perspektive entscheidet. Cuddly Friend ist ein aus Wachs und Sanddorn modellierter Ring, hergestellt mit dem Verfahren der verlorenen Form und gegossen in Messing. Getragen am Finger fungiert er als kuscheliger Freund des Trägers, ziert die Hand, zieht Blicke auf sich und lädt zum Anfassen und haptischem Erleben ein, jedoch lässt er banale Alltagshandlungen wie das Anziehen eines Pullovers nicht problemlos zu. Allem Guten ist das Böse inhärent und allem Bösen auch das Gute – die Perspektive entscheidet.

Sham Patwardhan-Joshi hat sich ebenfalls durch organische Elemente in der Natur inspirieren lassen. Er hat für seine Colliers Seidenkokons verwendet, die sich hart und formtreu zeigen, ganz im Gegensatz zum Seidengarn, das sich eher weich und zart anfühlt. Oder er kombiniert Pflanzensamen, die eine natürliche Stabilität aufweisen, und Karneolperlen, einen Halbedelstein, der bereits seit der Antike verwendet wird, so unfassbar robust, dass er in archäologischen Funden häufiger zu sehen ist.

Artemis Zafrana, bekannt für ihren eleganten Silberschmuck, hat sich das Wasser zum Vorbild genommen. Ihr Ring erinnert an eine Fontäne. Und so wie wir gern flieißendes Wasser mit unseren Händen berühren, so soll auch der Ring dazu animieren, über die Perlen streichen zu wollen, um die Bewegung zu fühlen. 

Glas

Die Glasobjekte, die Simone Fezer zur Ausstellung beigesteuert hat, haben etwas Laszives an sich, das zur Berührung verführt. Gleichzeitig wird aber dem oder der Berührenden der voyeuristische Spiegel vorgehalten, der ihn oder sie eventuell zögern lässt und die Frage der Zulässigkeit, des Anstands aufwirft, und das an sich verführerische der glatten, glänzenden Oberfläche des geblasenen und geformten Glases noch verstärkt. Fezer spielt mit den ambivalenten Empfindungen des Betrachters, die Körperlichkeit der Arbeiten erweckt sowohl Abscheu als auch Faszination. Bei der Arbeit „beauty and the beast“ I und II arbeitet die Künstlerin ganz bewusst mit der Ambivalenz und Gegensätzlichkeit der rauen, beinahe abstoßend gestalteten  Oberfläche und der im massiven klaren Glas frei schwebenden glatten Innenkugel, die einmal im korrespondierenden rot gehalten, einmal als Anspielung auf einen schönen, im inneren verborgenen Schatz vergoldet ist.

Stein

Die Sandsteinarbeiten von Kerstin Krieg sind Bruchstücke von Landschaften. Ihre Oberfläche ist rau und porös. Je nach Abbaugebiet variieren sie in Farbe, Dichte und Quarzgehalt. In ihrer Werkstatt verarbeitet sie Steine, die bereits verbaut waren, und die nun in einem neuen Zusammenhang als Einzelstücke verwendet werden. Sie orientiert sich dabei an der Ausgangsform und bezieht Spuren der Zeit und Patina mit ein. Alle Steine sind handwerklich bearbeitet. Die Oberflächenstruktur ist lebendig und durch die unterschiedliche Bearbeitung vielfältig. So kann auch ein grobkörniger Stein eine Zartheit zeigen. Die Form ist konkav ausgearbeitet. Damit sammelt sie Licht und Schatten, Regen und Berührungen.

Textil

Ute Ketelhake möchte mit ihren Second Life Rugs eine Lanze für individuelle, hochwertige Einzelstücke brechen, die durch taktile Sensationen, Komfort und Behaglichkeit, ebenso wie durch Verantwortung für die Umwelt überzeugen. Sie wecken Wohlbefinden, Geborgenheit und haptische Erlebnisse, die dem Entspannungsbedürfnis und der Regeneration vom Alltag förderlich sind. Wer auf einem Second Life Rug liegt, spürt das dichte, flauschige Material. Beim Griff in den hohen Wollflor hinein, oder barfuß darüber gehend nimmt man die komfortable Üppigkeit wahr.Im Gegensatz zur betriebswirtschaftlichen Sparsamkeit bei Material und Zeiteinsatz in der Industrie, verkörpern Second Life Rugs ihre Wertigkeit durch intensiven Materialeinsatz und den entschleunigten Entstehungsprozess. Jedes Stück ist ein luxuriöses Unikat.

Für Nica Weingartner steht fest, dass Textiles per se mit Berührung verbunden ist. Kleidung, Bettwäsche, Handtücher und dergleichen bedingen einer Berührung. Für die Ausstellung hat sie sich überlegt, was einen Anreiz schaffen könnte, Textilien aus Neugierde und nicht aus Notwenigkeit zu berühren. Dabei sind Strickarbeiten entstanden, deren Unebenheiten, Oberflächenstrukturen und Materialdifferenzen zu befühlen und zu erkunden, einfach Freude macht. Da gibt es Blasen und Spitzen, die sich dem Gegenüber entgegenstrecken und ihn zur Kontaktaufnahme einladen. Da gibt es Haariges und Weich-Borstiges, das verführen möchte und ums Gestreichelt werden bittet. Merinowolle, Viskose und Mohair – Glattes in die Dreidimensionale gehoben, Haariges in sanfte Blasen gezwungen und Weich-Stacheliges in Bündeln gepaart.

In Frauke Weißflogs Atelier entstehen hauptsächlich Schals, Unikate aus edlen Materialien in leuchtenden Farben, aber auch Wolldecke, Kissen, Tischläufer und kirchliche Textilien. Für die Ausstellung „Bitte berühren!“ hat sie unter anderem eine Wolldecke aus Schurwolle und Leinen beigesteuert, bei der durch Schrumpfen eine plastische, reliefartige Oberfläche entstanden ist, die sich griffig und weich anfühlt.

Papier

Eberhard Gaumer zeigt in der Ausstellung unter anderem ein Schmirgelpapier-Buch. Die Farbgebung ist schlicht und einfach und lässt an eher langweilige fast archaische Geschäfts- oder Funktionsbücher denken. Erst mit der Berührung des Buches entwickelt es seine wahre Wirkung, die sofort zu einer spontanen Äußerung und verblüfftem Erstaunen führt. .

Bei seinem Fahrradschlauch-Buch steht das matte Schwarz eines Fahrradschlauches steht im deutlichen Gegensatz zum grellen Orange des Mattleinens. Die sofort sichtbar Marken- und Typenbezeichnungen des Schlauches lassen eine Identifizierung des Materials zwar zu, aber man ist doch überrascht, denn man erwartet dieses Material eigentlich nicht als Bucheinband.

 

Es stellen aus:

Marlies Adam-Hennecke / Mareike Beer / Ulrike Blindow / Martina Dempf / Susanne Elstner / Simone Fezer / Martina Finkenstein / Hans Jürgen Fuchs / Eberhard Gaumer / Sybille Groh + Wolfgang Groh / Gabriele Hain / Martin Hardt / Michael Hemkentokrax / Ulrike Isensee / Ute Ketelhake / Daniel Khan / Markus Klausmann / Jil Köhn / Konrad Koppold / Kerstin Krieg / Gabriele Küstner / Sabine Martin / Annemarie Matzakow / Iris Meinhard / Ulrich Neuhaus / Sham Patwardhan-Joshi / Nadja Recknagel / Sunnild Reinckens / Martina Schrader / Elisa Stützle-Siegsmund / Sylvia Wegener / Nica Weingartner / Frauke Weißflog / Susanne Wetzel / Lore Wild / Artemis Zafrana / Sanja Zivo

Ausstellungseröffnung:
Freitag, 27. Januar 2017, 20 Uhr

Ausstellungsdauer:
28. Januar 2017 bis 25. Februar 2017

Ausstellungsführungen:
Donnerstag, 02. Februar 2017, 16.30 bis 17.30 Uhr
Donnerstag, 16. Februar 2017, 16.30 bis 17.30 Uhr

Ort:
Handwerksform Hannover, Berliner Allee 17, 30175 Hannover

Öffnungszeiten:
Di – Fr 11-18 Uhr, Sa 11-14 Uhr, So, Mo und an gesetzlichen Feiertagen geschlossen

 www.hwk-hannover.de

 foto:hwk

Handwerksform Hannover
Seit 1963 bietet die Handwerksform Hannover Handwerkern, Kunsthandwerkern und Designern aus Hannover, aus Niedersachsen, aus der Bundesrepublik sowie dem europäischen und außereuropäischen Ausland eine Plattform zur Präsentation ihrer Arbeit. Gezeigt werden insbesondere Exponate, die sich durch eine hohe handwerkliche und ästhetisch reflektierte Produktqualität auszeichnen, in ihrer inhaltlichen Aussage zeitgemäß und innovativ sind und einen Beitrag zur Weiterentwicklung der angewandten Kunst leisten. Jahr für Jahr werden im Ausstellungs- und Informationszentrum der Handwerkskammer Hannover fünf Themenausstellungen gezeigt. Auf diese Weise wird einem interessierten Publikum immer wieder deutlich gemacht, dass handwerkliche Qualität und formale Gestaltung beileibe kein Widerspruch sein müssen. Zugleich leistet die Handwerksform Hannover damit einen bedeutenden Beitrag zur Vermittlung und Bewahrung der Handwerkskultur.


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