Der Neubau von Sozialwohnungen braucht dringend einen kräftigen Schub. Dazu muss die Politik neue und auch unkonventionelle Wege gehen, so die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt. IG BAU-Chef Robert Feiger fordert deshalb jetzt für den sozialen Wohnungsbau die Herabsetzung des Mehrwertsteuersatzes auf zunächst 7 und dann null Prozent. Allerdings gekoppelt daran, dass Wohnungen, die mehrwertsteuerreduziert oder sogar ganz umsatzsteuerbefreit gebaut werden, auch auf Dauer Sozialwohnungen bleiben. Entscheidend sei jetzt, dass Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hier mitziehe und zügig in einem ersten Schritt den reduzierten Steuersatz von 7 Prozent einführe. Gleichzeitig müsse die Bundesregierung auf EU-Ebene die Weichen für eine Null-Prozent-Mehrwertsteuer beim sozialen Wohnungsbau stellen. Andernfalls drohe das Ziel der Bundesregierung zu scheitern, 100.000 Sozialwohnungen pro Jahr neu zu bauen.
„Der Sozialwohnungsbau steckt aktuell in einem Dilemma: Die Baumaterialpreise steigen enorm. Gleichzeitig nimmt die Zuwanderung deutlich zu – nicht zuletzt auch durch die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine“, sagt Robert Feiger. Wer jetzt nach Deutschland komme, sei in der Regel auf bezahlbare Wohnungen, vor allem aber auch auf Sozialwohnungen angewiesen. Genau die seien aber bereits jetzt „absolute Mangelware“. „Das soziale Drama auf dem Wohnungsmarkt wird sich in diesem Jahr ganz sicher weiter verschärfen. Deshalb ist es dringend notwendig, genau jetzt gegenzusteuern. Der soziale Wohnungsbau braucht einen Push“, so der IG BAU-Bundesvorsitzende.
IG BAU-Chef Feiger: „Sozialer Wohnungsbau braucht einen Push“
Erst 7, dann 0 Prozent Mehrwertsteuer für den Bau von Sozialwohnungen
Experten erwarten Netto-Zuwanderung von weit über 500.000 Menschen in 2022
Feiger verweist dabei auf das Pestel-Institut (Hannover). Die Wissenschaftler dort erwarten in einer von der IG BAU beauftragten Prognose für Deutschland im gesamten Jahr 2022 mit den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine eine Netto-Zuwanderung von weit über 500.000 Menschen. Bereits im vergangenen Jahr sei die Netto-Zuwanderung deutlich gestiegen: 316.500 Menschen sind 2021 mehr nach Deutschland gekommen als weggezogen, so das Pestel-Institut. Gegenüber der Netto-Zuwanderung im Jahr 2020 sei das ein Anstieg um 108.000. „Bund und Länder sind jetzt gefordert, alles zu tun, um eine neue Welle der sozialen Wohnungsnot zu vermeiden“, sagt der Gewerkschaftsvorsitzende Robert Feiger.
Für den Chef der Baugewerkschaft steht damit fest: „Der soziale Wohnungsbau ist wichtiger denn je. Es wird deshalb höchste Zeit, die Neubaukosten für Sozialmietwohnungen spürbar zu senken.“ So würde eine Umsatzsteuerbefreiung und eine vorab umgesetzte Reduzierung der Mehrwertsteuer auf 7 Prozent für den sozialen Wohnungsbau einen „enormen Zuschusseffekt“ bringen: Der Neubau wäre bei einer auf Null gesetzten Mehrwertsteuer um 16 Prozent und bei einer zunächst auf 7 Prozent reduzierten Mehrwertsteuer um 10 Prozent günstiger zu machen, so Feiger. Für eine durchschnittliche Sozialwohnung mit 60 Quadratmetern Wohnfläche würde die Mehrwertsteuerbefreiung nach Berechnungen, die das Pestel-Institut für die IG BAU gemacht hat, bei den reinen Baukosten eine Reduzierung um 33.000 Euro (bei 7-prozentiger Umsatzsteuer: gut 20.000 Euro) bedeuten. Wenn Büros zu Sozialwohnungen umgebaut werden, wären es immerhin noch rund 13.000 Euro (bei reduzierter Mehrwertsteuer: gut 8.000 Euro) pro Wohnung, da ein Umbau wesentlich preiswerter ist.
Die Null-Prozent-Umsatzsteuer und ein zunächst reduzierter Mehrwertsteuersatz beim Bau von Sozialwohnungen seien die passende Antwort des Staates auf steigende Materialpreise. Feiger warnt allerdings „vor Mitnahmeeffekten und vor einem unkontrollierten Drehen an der Gewinn-Preis-Spirale“. Der Staat müsse Investoren und vor allem auch beteiligten Baufirmen dabei „genau auf die Finger schauen“. Am Ende dürften nicht Bauunternehmen die Profiteure einer Niedrig- oder Null-Steuer-Politik beim sozialen Wohnungsbau sein. Es komme vielmehr darauf an, dass der Staat für seinen Steuerverzicht eine soziale Gegenleistung bekomme: „Wichtig ist, dass mit Steuervorteil gebaute Wohnungen eine dauerhafte Sozialbindung bekommen. Es muss dabei das Prinzip gelten: einmal Sozialwohnung – immer Sozialwohnung“, fordert Feiger. Dies müsse auch rechtlich sauber geregelt werden.
An die Adresse von Bund und Ländern richtete der IG BAU-Chef die Forderung, den Umbau von vorhandenen Gebäuden deutlich zu vereinfachen. „Nicht jede Sozialwohnung muss auf einem neuen Grundstück auch neu gebaut werden. Denn gerade der Gebäudebestand bietet ein enormes Potential, Sozialmietwohnungen deutlich preisgünstiger zu schaffen“, so Feiger. Hier biete sich die Dachaufstockung von Wohn- und Geschäftshäusern ebenso an wie On-Top-Etagen auf Parkhäusern, Verwaltungs- und Bürokomplexen. Vor allem aber auch der Umbau von Büros, die durch die Etablierung vom Homeoffice nicht mehr gebraucht würden. Entscheidend sei, dass der Staat „jetzt ganz schnell schlanke Regeln für den Wohnungsumbau“ schaffe und dabei den sozialen Wohnungsbau vorrangig im Auge habe.
Darüber hinaus müssten Bund und Länder beim sozialen Wohnungsbau wesentlich effektiver und intensiver an einem Strang ziehen. Es sei deshalb gerade in der aktuellen Situation dringend notwendig, dass die Länder die Fördermittel, die der Bund für den sozialen und klimagerechten Wohnungsbau bereitstelle, mit eigenen Programmen und mit eigenen Geldern flankierten. „Ein Spielen auf Zeit können wir uns nicht erlauben. Wichtig ist, dass die Länder jetzt zügig mitziehen. Sie dürfen die 100.000er-Marke der Bundesregierung bei den Sozialwohnungen nicht blockieren. Der soziale Wohnungsbau darf weder am finanziellen Unvermögen noch am politischen Unwillen der Bundesländer scheitern“, sagt Feiger.
Denn Leidtragende seien am Ende immer die Menschen, die dringend eine Sozialwohnung bräuchten. Eine Wohnung also, die höchstens 6,50 Euro pro Quadratmeter Kaltmiete im Monat koste. Aber auch für die Kommunen werde fehlender sozialer Wohnraum mehr und mehr zu einem ernsten Problem: „Sie bezahlen heute schon oft hohe Kosten für die Unterkunft von Menschen mit geringen Einkommen. Dazu kommen jetzt die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, für die dringend Wohnungen gebraucht werden. Für viele von ihnen, die bei uns bleiben, auch dauerhaft“, so Feiger.
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