Liebe Brüder und Schwestern, frohe Weihnachten! Ich möchte, dass alle die Botschaft erreicht, die die Kirche an diesem Festtag mit den Worten des Propheten Jesaja verkündet: »Ein Kind wurde uns geboren, ein Sohn wurde uns geschenkt« (Jes 9,5). Ein Kind wurde geboren: Eine Geburt ist immer Quelle der Hoffnung, sie ist aufkeimendes Leben, sie ist Zukunftsverheißung. Und dieses Kind, Jesus, „ist uns geboren“: einem „Uns“ ohne Grenzen, ohne jegliche Bevorzugung, ohne irgendeine Ausschließung. Das Kind, das die Jungfrau Maria in Betlehem zur Welt gebracht hat, ist für alle geboren: Es ist der „Sohn“, den Gott der gesamten Menschheitsfamilie geschenkt hat.
Dank diesem Kind können wir uns alle Gott zuwenden und ihn „Vater“, „Papa“ nennen. Jesus ist „aus dem Vater geboren vor aller Zeit“; kein anderer außer ihm kennt den Vater. Aber er ist deshalb in die Welt gekommen, um uns das Angesicht des Vaters zu offenbaren. Und so dürfen wir uns alle dank diesem Kind Geschwister nennen und dies auch wirklich sein: aus allen Kontinenten, aus jedwedem Sprach- und Kulturraum, mit unseren Identitäten und Unterschieden und doch alle als Brüder und Schwestern.
In diesem historischen Augenblick, der von der ökologischen Krise und von schwerwiegenden wirtschaftlichen und sozialen Missverhältnissen gekennzeichnet ist, die durch die Pandemie des Coronavirus noch verschlimmert wurden, bedürfen wir mehr denn je der Geschwisterlichkeit. Und Gott bietet sie uns an, indem er uns seinen Sohn Jesus schenkt: nicht eine Geschwisterlichkeit, die aus schönen Worten, aus abstrakten Idealen, aus vagen Gefühlen besteht… Nein. Eine Geschwisterlichkeit, die auf der konkreten Liebe gründet, die fähig ist, dem anderen von mir verschiedenen Menschen zu begegnen, mit ihm zu leiden, sich ihm zu nähern und sich seiner anzunehmen, auch wenn er nicht meiner Familie, meiner Volksgruppe, meiner Religion angehört; er ist anders als ich, aber er ist mein Bruder, sie ist meine Schwester. Und dies gilt auch in den Beziehungen zwischen den Völkern und den Nationen: Fratelli tutti!
An Weihnachten feiern wir das Licht Christi, das ist die Welt kommt und das zu allen kommt, nicht nur zu einigen. Heute, in dieser Zeit der Dunkelheit und Unsicherheiten aufgrund der Pandemie, tauchen einige Lichter der Hoffnung auf, etwa die Entwicklung von Impfstoffen. Aber um die ganze Welt zu erleuchten und Hoffnung überallhin zu tragen, müssen diese Lichter allen zur Verfügung stehen. Wir können nicht zulassen, dass Nationalismen uns daran hindern, als die Menschheitsfamilie zu leben, die wir sind! Wir können auch nicht zulassen, dass der Virus der radikalen Gleichgültigkeit uns besiegt und uns dem Leiden unserer Brüder und Schwestern gegenüber gefühllos macht. Ich kann mich selbst nicht über die anderen stellen, ich kann nicht die Gesetze des Marktes und der Patente für Erfindungen höherstellen als die Gesetze der Liebe und der Gesundheit der Menschheit. Daher fordere ich alle, die Verantwortlichen der Staaten, Unternehmen, internationalen Organismen dazu auf, Kooperation und nicht Konkurrenz zu fördern und eine Lösung für alle zu suchen: Impfstoffe für alle, vor allem für die Verletzlichsten und Bedürftigsten in allen Regionen des Planeten. An die erste Stelle gehören die Verletzlichsten und die Bedürftigsten!
Das Kind von Betlehem helfe uns demnach, verfügbar, großherzig und solidarisch zu sein, insbesondere gegenüber den schwächsten Personen, den Kranken und denen, die in dieser Zeit arbeitslos geworden sind oder sich in großen Schwierigkeiten aufgrund der Folgen der Pandemie befinden, sowie auch den Frauen gegenüber, die in diesen Tagen der Isolation zum Opfer häuslicher Gewalt geworden sind.
Angesichts einer Herausforderung, die keine Grenzen kennt, kann man keine Barrieren errichten. Wir sitzen alle im gleichen Boot. Jeder Mensch ist einer meiner Geschwister. In jeder Person sehe ich das Angesicht Gottes widergespiegelt, und in den Leidenden werde ich des Herrn gewahr, der mich um Hilfe bittet. Ich sehe ihn im Kranken, im Armen, im Arbeitslosen, im Ausgegrenzten, im Migranten und Flüchtling - alle Brüder und Schwestern.
Am Tag, an dem das Wort Gottes sich zum Kind macht, richten wir unseren Blick auf die allzu vielen Kinder, die in aller Welt, insbesondere in Syrien, im Irak und im Jemen immer noch den hohen Preis für den Krieg bezahlen. Ihre Gesichter rütteln die Gewissen der Menschen guten Willens auf, auf dass die Gründe der Konflikte angegangen werden und man sich mutig dafür einsetzt, eine Zukunft des Friedens aufzubauen.
Möge dies der rechte Moment sein, um die Spannungen im Nahen Osten und im östlichen Mittelmeerraum zu lösen.
Das Jesuskind heile die Wunden des geschätzten syrischen Volkes, welches schon seit einem Jahrzehnt vom Krieg und seinen Konsequenzen geplagt wird, die durch die Pandemie noch schwerwiegender geworden sind. Es möge dem irakischen Volk und all denen Trost spenden, die sich auf den Weg der Versöhnung verpflichtet haben, insbesondere den Jesiden, die von den letzten Kriegsjahren schwer getroffen wurden. Es möge Libyen Frieden schenken und gewähren, dass die neue Phase der laufenden Verhandlungen jeder Form von Feindseligkeit im Land ein Ende setze.
Das Kind von Betlehem schenke der Erde, die seine Geburt erblickt hat, Geschwisterlichkeit. Israelis und Palästinenser mögen das gegenseitige Vertrauen wiedererlangen, um einen gerechten und dauerhaften Frieden durch einen direkten Dialog zu suchen, der im Stande ist, die Gewalt zu besiegen und die verbreiteten Ressentiments zu überwinden, um der Welt die Schönheit der Geschwisterlichkeit zu bezeugen.
Der Stern, der die Weihnachtsnacht erleuchtet hat, möge das libanesische Volk leiten und ermutigen, auf dass es in den Schwierigkeiten, denen es ausgesetzt ist, mit der Unterstützung der internationalen Gemeinschaft die Hoffnung nicht verliere. Der Friedensfürst helfe den Verantwortlichen des Landes, die Sonderinteressen hintanzustellen und sich mit Ernsthaftigkeit, Ehrlichkeit und Transparenz dafür einzusetzen, dass der Libanon einen Weg der Reformen durchlaufen und seine Berufung zur Freiheit und zum friedlichen Zusammenleben fortführen kann.
Der Sohn des Höchsten stütze den Einsatz der internationalen Gemeinschaft und der betroffenen Länder, um den Waffenstillstand in Nagorny Karabach fortzusetzen wie auch in den östlichen Regionen der Ukraine, um den Dialog als einzigen Weg zu fördern, der zum Frieden und zur Versöhnung führt.
Das Göttliche Kind möge das Leiden der Bevölkerungen von Burkina Faso, Mali und Niger lindern, die aufgrund von Extremismus und bewaffneten Konflikten, aber auch aufgrund der Pandemie und anderen Naturkatastrophen von einer schweren humanitären Krise getroffen wurden; es lasse die Gewalt in Äthiopien enden, wo aufgrund der Auseinandersetzungen viele Personen zur Flucht gezwungen sind; es möge den Bewohnern der Region Cabo Delgado im Norden Mosambiks Trost spenden, die Opfer der Gewalt des internationalen Terrorismus sind; es möge die Verantwortlichen des Südsudan, von Nigeria und Kamerun anspornen, den eingeschlagenen Weg der Geschwisterlichkeit und des Dialogs fortzusetzen.
Das ewige Wort des Vaters sei Quelle der Hoffnung für den amerikanischen Kontinent, der vom Coronavirus besonders getroffen wurde. Die Pandemie hat die vielen Leiden, die ihn bedrücken, noch verschärft, wo sie schon durch die Konsequenzen der Korruption und des Rauschgifthandels erschwert wurden. Das Christkind helfe, die jüngsten sozialen Spannungen in Chile zu überwinden und den Leiden des venezolanischen Volkes ein Ende zu setzen.
Der König des Himmels möge die von Naturkatastrophen heimgesuchten Bevölkerungen in Südostasien schützen, insbesondere auf den Philippinen und in Vietnam, wo zahlreiche Stürme Überschwemmungen mit verheerenden Auswirkungen für die in diesen Gebieten wohnenden Familien ausgelöst haben. Menschen verloren ihr Leben, und es hatte Umweltschäden und Konsequenzen für die lokale Wirtschaft zur Folge.
Und wenn ich an Asien denke, kann ich das Volk der Rohingya nicht vergessen: Jesus, der arm unter den Armen geboren wurde, möge Hoffnung in ihr Leiden bringen.
Liebe Brüder und Schwestern,
„Ein Kind ist uns geboren“ (vgl. Jes 9,5). Er ist gekommen, um uns zu retten! Er verkündet uns, dass der Schmerz und das Böse nicht das letzte Wort sind. Sich mit der Gewalt und der Ungerechtigkeit abfinden, würde bedeuten, die Freude und die Hoffnung von Weihnachten zurückzuweisen.
An diesem Festtag denke ich besonders an diejenigen, die sich nicht von den widrigen Umständen überwältigen lassen, sondern tätig sind, um Hoffnung, Trost und Hilfe zu bringen, indem sie den Leidenden beistehen und die Einsamen begleiten.
Jesus ist in einem Stall geboren, aber umhüllt von der Liebe der Jungfrau Maria und des heiligen Josef. Durch seine Geburt im Fleisch hat der Sohn Gottes die familiäre Liebe geheiligt. Mein Gedanke gilt in diesem Augenblick den Familien: denen, die heute nicht zusammenkommen können, wie auch denen, die gezwungen sind, zu Hause zu bleiben. Für alle möge Weihnachten der Anlass sein, die Familie als Wiege des Lebens und des Glaubens wiederzuentdecken; Ort der annehmenden Liebe, des Dialogs, der Vergebung, der brüderlichen Solidarität und der geteilten Freude, Quelle des Friedens für die ganze Menschheit.
Frohe Weihnachten Euch allen!
(vatican news - sk)
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