Zu den Beschlüssen von Bund und Ländern zur schrittweisen Lockerung der Corona-Beschränkungen erklärt Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH):
„Bund und Länder räumen mit ihren Beschlüssen dem umfassenden Gesundheitsschutz der Bevölkerung weiter Vorrang ein, tragen aber zugleich ökonomischen Erfordernissen Rechnung, um ein gesamtwirtschaftliches Desaster zu vermeiden. Wie verantwortungsvoll und umsichtig Politik diese derzeitige Gratwanderung meistert, findet die ausdrückliche Anerkennung des Handwerks. Gut ist auch, dass sich Bund und Länder auf ein bundesweit weitgehend einheitliches Vorgehen verständigt haben, das allerdings Raum für regional angepasste Regelungen lässt. Ohne Zweifel bleibt es absehbar unverzichtbar, auf regionale Sonderentwicklungen beim weiteren Pandemieverlauf reagieren zu können. Aber gleichzeitig brauchen unsere Handwerksbetriebe für den Wiedereinstieg bundesweit einheitliche, klare und transparente Regelungen und deren verlässlichen Vollzug.
Positiv ist die angekündigte Ausweitung der Notbetreuung von Kindern, da dies den Betrieben und den dort Beschäftigten Druck nimmt. In vielen Handwerksunternehmen fehlen derzeit zahlreiche Beschäftigte, weil es keine Betreuung und keine Schule für ihre Kinder gibt. Deshalb ist es gut, dass sich Bund und Länder auf ein einvernehmliches Öffnungskonzept für Schulen verständigt haben. Und es ist richtig, dass hierbei nun den prüfungsrelevanten Jahrgängen einschließlich der beruflichen Ausbildung besonderes Augenmerk gelten soll.
Zahlreiche Handwerksunternehmen haben in den zurückliegenden Wochen unter strikter Beachtung gesundheitsspezifischer Vorgaben einen wichtigen Beitrag geleistet, um die Versorgung vor Ort sicherzustellen, öffentliche und private Infrastrukturen zu warten und in Gang zu halten und besonders im Bereich des Gesundheitswesens hygienische Standards aufrecht zu erhalten. Angesichts dessen ist es wohlbegründet, dass nun auch sogenannte Mischbetriebe des Handwerks mit Handelsbereich – z.B. Kfz- und Fahrradhändler – ihre Geschäfte wieder umfassend öffnen können.
Dabei muss – nicht erst für den Neustart – gewährleistet sein, dass den Handwerksunternehmen die erforderlichen Ausrüstungen und Vorkehrungen zum Schutz von Beschäftigten und Kunden zur Verfügung stehen. Ohne Frage gilt für den Gesundheitsbereich eine Priorität, doch auch vor Ort in den Ladenlokalen und Gewerken wie etwa bei Friseuren mit der Öffnungsoption zu Anfang Mai wird es z.B. ohne Masken nur schwerlich gehen. Das muss beim weiteren Aufbau einschlägiger Versorgungsstrukturen von Anfang an mit berücksichtigt werden.
Zum großen Bedauern des Handwerks schaffen die Beschlüsse leider keine Klarheit darüber, wie schnell Behörden und Ämter wieder voll arbeitsfähig sein werden. Hier stehen Bund und Länder in der Pflicht, dass die in den letzten Wochen nicht mehr oder nur im Notbetrieb arbeitsfähigen Behörden und Ämter vor Ort zügig wieder ihre grundsätzliche Arbeitsfähigkeit zurückgewinnen. Darauf sind Handwerksunternehmen zwingend angewiesen, um ihre Aufträge erfüllen zu können. Nicht zeitnah funktionsfähige Zulassungsstellen, Straßenverkehrs- wie auch Baubehörden drohen ganze Wertschöpfungsketten zu zerschneiden. Die Pandemie hat im Übrigen gezeigt, wie groß – allerdings regional sehr unterschiedlich – der Nachholbedarf bei der Digitalisierung von Verwaltungsabläufen weiterhin ist.
Die zwischenzeitlich seitens Bund und Ländern realisierten Unterstützungsmaßnahmen zur Liquiditätsunterstützung bleiben bis auf Weiteres unverzichtbar und müssen gegebenenfalls problembezogen nachgeschärft werden. Und damit die zwischenzeitliche wirtschaftliche Fast-Vollbremsung nicht zu einem sich selbst beschleunigenden Abschwung führt, sind zudem zeitnahe wirtschafts- und finanzpolitische Stärkungsimpulse erforderlich.“
Es steht für das Handwerk außer Frage, dass die schrittweise Normalisierung nur unter Einhaltung eines größtmöglichen Gesundheitsschutzes erfolgen kann. Wichtig wird es sein, die nötigen Schutzvorkehrungen für Beschäftigte und Kunden zu identifizieren und zu entwickeln, um die Infektionsgefahr weitestmöglich zu minimieren und zugleich die Geschäftstätigkeit zu ermöglichen. Hier stehen wir zusammen mit den Berufsgenossenschaften als Partner bereit, gewerkespezifische Schutzkonzepte zu erstellen.
Bei einem Neustart wird es darum gehen, dass alle handwerklichen Tätigkeiten und Dienstleistungen, die derzeit aufgrund behördlicher Vorgaben untersagt sind, schnellstmöglich wieder aufgenommen werden können, z.B. Verkaufs- und Handelsaktivitäten etwa in den Bereichen Kfz, Karosseriebau und Landbautechnik, persönliche Dienstleistungen sowie auch Bewirtungsangebote in den Lebensmittelhandwerken.
Notwendig ist zugleich ein zeitnaher Neustart in den einschlägigen Verwaltungen, z.B. bei den Kfz-Zulassungsstellen, den Straßenverkehrsbehörden und sonstigen Ämtern, auf die Handwerksunternehmen angewiesen sind, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Ebenso wichtig ist auch, dass wieder für alle im Handwerk Beschäftigten - über die systemrelevanten Bereiche hinausgehend - zu einer umfassenden Kinderbetreuung zurückgekehrt wird.
Dritter zentraler Eckpunkt einer effektiven Exit-Strategie, die das Handwerk von Beginn an einbezieht, müssen wirksame Impulse zur Wiederbelebung der Nachfrage sein. Es sollten verstärkt und beschleunigt öffentliche Aufträge vergeben und Vergabeverfahren möglichst schlank gestaltet werden. Nachfrageimpulse könnten zudem über Investitionsanreize sowie steuerliche Entlastungen von Unternehmen und Handwerkskunden gegeben werden. Ausserdem setzen wir uns für ein umfassendes Belastungsmoratorium sowohl im Bereich der Regulierung als auch z.B. bei Sozialbeiträgen ein.
Beim Neustart gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Aktivitäten muss unbedingt vermieden werden, dass ein föderaler Flickenteppich entsteht. Bund und Länder müssen gemeinsam für einheitliche und vor allem auch klare Regeln sorgen, welche Unternehmen unter welchen Bedingungen wieder arbeiten und öffnen können. Klare Perspektiven sind für die Planungen unserer Betriebe wichtig, damit sie sich auf das Wiederhochfahren ihrer Tätigkeit vorbereiten können und so ein rascher Neustart auch gelingen kann."
Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH)
Mohrenstraße 20/21, 10117 Berlin