15.07.2023 - Das Handwerk ist als Umsetzer der Energiewende auf dem Weg hin zur Klimaneutralität darauf angewiesen, dass die Maßnahmen dafür praxistauglich, verlässlich und planbar sind, so ZDH-Präsident Jörg Dittrich im Interview mit Bernd Günther vom "SÜDKURIER". Das Bundesverfassungsgericht hat dem Bundestag untersagt, kurzfristig über das Gebäudeenergiegesetz abzustimmen. Sind Sie und das Handwerk über diesen Aufschub erleichtert? - Wir haben von Beginn an kritisiert, dass der Gesetzgebungsprozess zeitlich zu gepresst war und die Expertise des Handwerks als Umsetzer der Wärmewende nicht ausreichend angehört und eingeholt wurde. Jetzt können alle nochmal nachdenken, das ist gut. Denn die zusätzliche Zeit kann nun genutzt werden, die weiter noch offenen Fragen zu klären und auf den Weg zu bringen, wie das Wärmeplanungsgesetz und die Förderkulisse. Das muss jetzt bis zum Herbst angegangen werden.
Bei der Wärmeplanung wird argumentiert, dass sie vorhanden sein oder erstellt werden müsse, damit die Reihenfolge bei der Energiewende Sinn mache. Was ist bei der Förderkulisse zu klären?
Die Bundesregierung hat angekündigt, die Förderleitplanken festzulegen, da sind aber noch wichtige Details ungeklärt. Wer bekommt unter welchen Bedingungen welche Förderung? Es werden wenige Kunden bereit und sofort finanziell in der Lage sein, einzig auf Grundlage des Gebäudeenergiegesetzes den Einbau einer Wärmepumpe zu beauftragen, ohne zu wissen, wie sie dabei unterstützt werden. Und sie werden das auch nicht tun, wenn sie nicht wissen, wie es eigentlich mit dem dafür nötigen Strom, den Stromnetzen und auch der Strompreisentwicklung aussieht. Letztlich muss sich die Heizungswende auch finanziell tragen, damit sie nachhaltig wirkt, wir müssen uns das Gesetz auch dauerhaft leisten können.
Sogar auf Jahrzehnte hinaus leisten können.
Gerade weil es um eine Weichenstellung für Jahrzehnte geht, sollten alle relevanten Aspekte auf ihre Machbarkeit hin genau überlegt sein und sich daran orientieren, wie wir das eigentliche Ziel am besten erreichen, nämlich bis 2045 die CO2-Neutralität zu schaffen. Vor diesem Hintergrund kann es doch nicht prioritäres Ziel sein, dass die Wende genau im Januar 2024 starten muss.
Welche Rolle spielt das Handwerk für die Umsetzung der Energiewende?
Die Transformation, vor der wir im Energiebereich stehen, ist nur mit dem Handwerk zu bewältigen, denn es sind Handwerkerinnen und Handwerker, die die Wärmepumpen einbauen, die die Heizungen tauschen, die die Gebäude energetisch sanieren. Das birgt aber auch die Chance, wieder etwas in eine Balance zu bekommen, was in den vergangenen Jahren aus dem Gleichgewicht geraten ist: Wir brauchen einen Wandel in der Gesellschaft hin zu einer wieder größeren Wertschätzung für berufspraktische handwerkliche Arbeit. Allein mit Akademikern werden wir die Energiewende nicht stemmen. Das Handwerk ist bereit, seinen Beitrag zu leisten. Wenn sich Handwerker in der Heizungsdebatte emotional aufgeregt haben, dann lag das nicht daran, dass sie das Ziel in Frage gestellt haben, sondern dass der Weg dahin aus ihrer Sicht nicht passte. Handwerker sind pragmatisch, wollen anpacken und machen. Aber wie es zunächst geplant war, da haben viele gesagt, so geht das nicht.
Das heißt, die Planung stimmt nicht?
Es fehlte die Praxistauglichkeit. So wichtige Punkte wie beispielsweise die Technologieoffenheit, die fehlten im Entwurf. Tischler hätten nicht mehr mit den Abfällen in ihren Werkstätten oder Betriebe mit Holzpellets heizen dürfen. Oder nehmen sie die Klausel, dass über 80jährige vom Gesetz ausgenommen bleiben sollten. Warum wollte man in diesem hohen Alter die Grenze ziehen?
Sie haben das früh kritisiert, und das ist auch angepasst worden.
Tatsächlich sind vor allem zwei Kernforderungen des Handwerks in die jetzige Gesetzesfassung aufgenommen worden: die Technologieoffenheit und die Verzahnung der Heizungstausch-Verpflichtungen mit der kommunalen Wärmeplanung. Aber bis dahin war es ein steiniger Weg.
Ihr Verband vertritt eine Million Handwerksbetriebe und 5,6 Millionen Beschäftigte. Können Sie beziffern, wie viele der Betriebe und Beschäftigten vom Gebäudeenergiegesetz betroffen sein werden?
Nur auf das Gebäudeenergiegesetz bezogen lässt sich das nicht genau sagen, aber es ist so, dass schon aktuell rund 490.000 Betriebe mit rund 3,1 Millionen Beschäftigten in knapp 30 Gewerken täglich in fast allen Bereichen am Erfolg der Energie-, Wärme- und Mobilitätswende mitarbeiten. Die Liste klimarelevanter Tätigkeiten ist lang, zum Beispiel Heizungs- und Kälteanlagenbauer beim Wärmepumpeneinbau, Elektroniker und Dachdecker bei der Photovoltaikinstallation, Schornsteinfeger bei der Gebäudeenergieberatung.
Für die Klimawende der Regierung braucht es nicht nur das Gesetz, sondern auch die Fachkräfte. Ist das Handwerk dafür aufgestellt, um die Aufgabe stemmen zu können?
Im Handwerk fehlen aktuell rund 250.000 Fachkräfte. Das hat vor allem zwei Gründe: zum einen den demografischen Wandel; die Zahl der jungen Menschen, die aus der Schule kommen, reicht nicht. Zum anderen das über Jahrzehnte gültige Bildungsmantra, wonach jungen Menschen beigebracht wurde, dass nur das Abi und ein daran anschließendes Studium zu beruflicher Karriere und Wohlstand führen. Das hatte zur Folge, dass heute der weit überwiegende Teil eines Schuljahrgangs ein Studium beginnt. Die Verteilung zwischen beruflich Auszubildenden und Studenten hat sich gedreht. Dem steht ein stetig steigender Fachkräftebedarf im Handwerk gegenüber. Den zu decken ist daher eine der zentralen Herausforderungen, wenn es darum geht, in eine klimaneutrale Zukunft zu starten. Daher sind auch wir alle – Gesellschaft, Politik und Handwerk – aufgerufen, alles daranzusetzen, wieder mehr junge Menschen für eine Ausbildung im Handwerk zu gewinnen.
Wie wollen Sie entgegensteuern?
Wir werben bereits seit 2010 mit unserer Imagekampagne für das Handwerk und seine attraktiven Berufs- und Karrierewege. Damit zielen wir auch darauf, der Öffentlichkeit deutlich zu machen, dass das leider immer noch verbreitete Stereotyp, Handwerksberufe seien schmutzig, körperlich belastend und schlecht bezahlt, so längst nicht mehr stimmt. Wir können inzwischen messen, dass sich durch diese Kampagne etwas verändert hat und die Wertschätzung in der Gesellschaft größer geworden ist. Es ist allerdings noch nicht gelungen, dass aus dieser höheren Wertschätzung auch der Wunsch entsteht, ins Handwerk zu gehen.
Muss man nicht auch in die Schulen gehen und dort werben.
Ja, das ist ein wichtiger Punkt. Es ist bei Weitem noch nicht so, dass an den Schulen in der Berufsorientierung immer auch über die Optionen einer beruflichen Ausbildung im Handwerk informiert wird. Das muss sich ändern – gerade auch an Gymnasien. Außerdem muss die Politik gleichwertige Rahmenbedingungen für berufliche und akademische Bildung schaffen. Die Ausfinanzierung der beruflichen Bildung ist im Vergleich zur universitären Bildung viel schlechter. Es geht nicht an, dass die berufliche Bildung benachteiligt wird. Die Bildungszentren des Handwerks brauchen Hunderte von Millionen Euro für die notwendigen Investitionen in neue Technologien und in die Digitalisierung.
Wer soll das bezahlen?
Hier sind alle gefragt. Das Handwerk leistet seinen Teil, die Länder müssen mitziehen, das müsste auch der Bund tun. Er ist für die berufliche Bildung zuständig und eigentlich gar nicht für die Universitäten. Wir fordern eine Bildungswende hin zu einer gleichwertigen Behandlung beruflicher und akademischer Bildung, und zwar ideell wie finanziell. Es geht nicht darum, die Förderung der Universitäten zu kritisieren, aber der ganze Bereich der beruflichen Bildung muss ebenbürtig in den Blick genommen werden. Wir fordern, dass die Gleichwertigkeit gesetzlich festgeschrieben wird. Es gibt den Deutschen Qualifikationsrahmen, wonach das Qualifikationsniveau eines Meisters auf derselben Stufe wie das eines akademischen Bachelors liegt. Dem Alltag entspricht das aber nicht. Wenn die öffentliche Hand einen Meister oder einen Bachelor einstellt, dann gibt es in der Vergütung Unterschiede. Es muss ein Umdenken in der Gesellschaft einsetzen. Dafür ganz wichtig wäre es, wenn immer auch an Gymnasien eine Orientierung zum beruflichen Karriereweg stattfände. Wir müssen es schaffen, dass ein junger Mensch entsprechend seiner Talente einen Berufsweg einschlägt. Und ihm nicht sagen, jetzt mit Abi musst Du studieren. Darum mein Aufruf an Eltern und Lehrer, zu einer neuen Wertschätzung berufspraktischer Arbeit zu kommen.
Viele Bürger könnten jetzt einwenden, dass Handwerker mit ihren hohen Rechnungen durchaus ihre Wertschätzung einfordern. Wie steht es denn um die Auftragslage im Handwerk? Viele Betriebe sollen sich vor Aufträgen nicht retten können. Zugleich gibt es Meldungen, dass im Bau beauftragte Projekte verschoben werden, weil Finanzierungen nicht mehr gesichert sind.
Die ZDH-Frühjahrskonjunkturumfrage hat ergeben, dass die meisten Handwerksbetriebe ihre Geschäftslage als gut betrachten. Allerdings sind die Aussichten nicht ungetrübt, vor allem aus zwei Gründen: zum einen durch Kostenschübe wegen steigender Materialpreise, Löhne, Sozialabgaben und zum anderen durch den Zinsanstieg. Auf all das hat das Handwerk jedoch wenig bis keinen Einfluss, doch es dämpft die Geschäftsentwicklung der Betriebe, aktuell ganz besonders am Bau, wo inzwischen bereits Betriebe in Kurzarbeit sind.
Aber ist das nicht Ihr Job, sich an die Politik zu wenden?
Das machen wir! Und pochen darauf, dass sich die Bundespolitik mit dem Thema Bau beschäftigt. Wir dürfen nicht sehenden Auges Kapazitäten verlieren, die wir dringend für den Wohnungsbau und die energetischen Sanierungen benötigen, wenn wir diese Transformation hinbekommen wollen.
Sie kritisieren Kostenschübe, hinzu kommt der hohe bürokratische Aufwand für Betriebe, die Diskussion um die Mindestlohnhöhe oder auch das Lieferkettengesetz – alles Punkte, wo das Handwerk betroffen ist.
Ich will einen Punkt herausgreifen, das sind die Sozialversicherungssysteme, die vor dem Hintergrund des demografischen Wandels künftig häufig massiv unter Druck geraten, wenn sie nicht reformiert werden: Weil zukünftig immer weniger Einzahler einer immer größeren Gruppe von Empfängern gegenüberstehen und weil Leistungen ausgeweitet wurden. Mein Hauptkritikpunkt ist, dass der Beitrag bei den Sozialabgaben vor allem an den Lohn geknüpft ist. Das Handwerk ist lohnintensiv, wir tragen hier eine hohe Last. Das kann nicht so bleiben. Wir werden um die Diskussion, wie die Sozialversicherungssysteme künftig fair finanziert werden, nicht umhinkommen. Allein der Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge dieses Jahr kostet Betriebe und ihre Beschäftigten Milliarden Euro. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben weniger Geld im Portemonnaie, gleichzeitig muss in den Betrieben das Geld erwirtschaftet werden. Teils schlägt das dann auch in höheren Rechnungen für die Kunden durch. Wir müssen aufpassen, dass nicht eine Unbezahlbarkeit der Handwerksleistung droht.
Das heißt, das Handwerk hat keinen goldenen Boden mehr?
Doch, das Handwerk hat eine hervorragende Zukunftsperspektive, weil es für alle anstehenden Modernisierungs- und Transformationsaufgaben in der Zukunft gebraucht wird. Die Arbeit geht dem Handwerk ganz sicher nicht aus. Wer Jobsicherheit, soziale Einbindung und einen sinnstiftenden Beruf sucht, der findet im Handwerk dafür die besten Voraussetzungen.
Wenn dann auch der Standort stimmt. Sind Sie das erste Mal am Bodensee?
Ich bin als Präsident des Handwerks viel in Deutschland unterwegs. Am Bodensee aber erstmals. Ich habe beim Anflug den See gesehen – wirklich wunderschön.
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