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"Die Handwerksreform von 2004 muss endlich auf den Prüfstand" - Im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland spricht ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer über lange Wartezeiten im Handwerk und warum sich das kurzfristig nicht ändern wird. - Herr Wollseifer, wie lange müssen Kunden im Augenblick warten, bis der Fliesenleger oder der Maler kommt? Nach wie vor sind das im Schnitt je nach Gewerk zwischen neun und dreizehn Wochen. Perspektivisch wird das aber eher noch mehr als weniger werden. - Warum? Uns fehlen die Fachkräfte in den Betrieben. Laut Bundesinstitut für Berufsbildung konnten 2018 allein im Handwerk mehr als 17 000  Ausbildungsplätze nicht besetzt werden. Auch schon in den Vorjahren blieben viele angebotene Lehrstellen offen. Das macht sich über die Jahre natürlich bemerkbar: Die Lücke wird größer.

Was tun?  - Wir müssen wieder mehr junge Menschen für eine Berufsausbildung gewinnen. Und sie anspornen, im Handwerk einen Betrieb zu führen. Vielen erscheint heutzutage ein Angestelltenverhältnis mit festem Lohn und festen Arbeitszeiten angenehmer. Deshalb haben wir mit dem Bundeswirtschaftsministerium, DIHK und anderen eine Gründungsoffensive gestartet. Es geht darum, mehr junge Menschen zu motivieren, in die Selbstständigkeit zu gehen. Das ist nicht leicht.

Woran liegt es?  -Das liegt nicht unwesentlich an der immensen Bürokratielast, die zudem immer erdrückender wird. Wer heute ein Unternehmen gründen will, muss Formulare mit bis zu 600 Detailfragen beantworten. Wir übertreiben es an vielen Stellen mit den Vorschriften und der Gängelei. Das muss endlich wieder auf ein Maß an Vorschriften zurückgestutzt werden, das die Betriebe in ihrem Alltag auch erfüllen können. Dafür müssen wir Überzeugungsarbeit leisten: bei der Politik, weiter Bürokratie abzubauen, sodass wieder mehr junge Menschen sich daran machen, sich ihren Traum von der Selbständigkeit zu erfüllen.

Täuscht der Eindruck oder sind für die Betriebe Klein-Aufträge von Privatkunden gar nicht mehr so relevant? - Ganz sicher gefällt es Betrieben nicht, wenn sie Aufträge ablehnen müssen – aber viele sehen sich inzwischen dazu gezwungen, weil ihnen schlicht das Personal fehlt. Das hat dann weniger mit kleinen oder großen Aufträgen zu tun, sondern mit dem, was machbar ist. Und dass dabei natürlich erst einmal Stammkunden berücksichtigt werden, dürfte nicht verwundern. Für Laufkunden, die mal hierhin und dorthin gehen, wo also kein festes Kundenverhältnis besteht, könnte es in Zukunft insofern schon schwieriger werden, noch einen guten Handwerker zu finden.

Inwieweit hat die Aufhebung der Meisterpflicht in vielen Handwerkszweigen zur Fachkräftemisere beigetragen? - Nach 15 Jahren muss die Handwerksreform endlich mal auf den Prüfstand. Damals hat man auf Deregulierung gesetzt. In 53 von 94 Handwerksgewerken ist die Meisterpflicht aufgehoben worden. Das heißt seither: Wer in einem dieser zulassungsfreien Gewerke arbeitet, braucht gar nichts mehr an Qualifikationsbeleg vorzuweisen - kein Praktikum, keine Ausbildung, nichts -, sondern kann gleich loslegen.

Mit welcher Folge? - Viele Gewerke vom Instrumentenbau bis zum Fliesenleger sind in eine Spirale der Dequalifizierung geraten. Wir haben immer mehr Ein-Mann-Betriebe, immer mehr Solo-Selbstständige. Dort wird kaum noch ausgebildet. Wissenstransfer findet nicht mehr statt. Es wird auch nicht unbedingt nach Meister-Qualitätstandards gearbeitet. Das kann problematisch für den Verbraucherschutz sein und schadet dem Bild des Handwerks insgesamt. Zudem bleiben eine Reihe dieser Betriebe nur relativ kurz im Markt. Daraus ergeben sich natürlich Probleme bei Gewährleistungen.

Was schlagen Sie vor? - Wir müssen die sozialpolitischen Folgen einer wachsenden Solo-Selbstständigkeit erkennen. Sehr viele, die so arbeiten, zahlen nicht in die Sozialversicherungssysteme. Sie haben keine Unfallversicherung und sorgen nicht fürs Alter vor. Für die Solidargemeinschaft der Beitragszahler entstehen so enorme Kosten. Wir fordern, für jedes einzelne Gewerk die Rückkehr zur Meisterpflicht zu prüfen. Es geht nicht um eine Rolle rückwärts, sondern darum, Fehler der Vergangenheit wo nötig und möglich zu beheben.

Stichwort Konjunktur: Droht dem Handwerk schon bald der Abschwung? - Am allgemeinen Konjunkturhimmel sehen auch wir erste dunkle Wolken auf uns zukommen. Aber im Handwerk bleiben wir weiter zuversichtlich. Im vergangenen Jahr hatten wir noch fünf Prozent Umsatzwachstum. 2019 wird es weniger sein, doch wir erwarten immer noch ein Plus von drei bis vier Prozent. Das Handwerk stabilisiert entscheidend die Gesamtwirtschaft.

Das heißt: Steuerliche Entlastungen sind aus Sicht des Handwerks gar nicht so wichtig? - Das stimmt so nicht. Steuern und Abgaben belasten das personalintensive Handwerk erheblich. Deutschland ist Vize-Weltmeister in diesem Bereich. Im internationalen Vergleich entwickeln wir uns vom Hochsteuerland zu einem Höchststeuerland. Spätestens wenn Frankreich 2022 seine Unternehmenssteuerreform umgesetzt hat, wird Deutschland unter allen OECD-Staaten das Land mit der höchsten Unternehmenssteuerbelastung sein. Unsere Betriebe schreiben immer noch gute Zahlen – das aber nur, weil viele Handwerksmeister 60, 70 Stunden in der Woche schuften. Mit 39 Stunden wäre das nicht zu schaffen.

Was fordern Sie? - Wir brauchen eine gesetzliche Belastungsbremse. Die Sozialabgaben müssen dauerhaft unter 40 Prozent gehalten werden. Den Wert hält die Regierung ja ein im Augenblick? -
Formal schon, allerdings geht nicht alles mit in die Rechnung ein. Ich denke da zum Beispiel an die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Wir können unseren Sozialstaat nicht mehr allein über den Faktor Arbeit finanzieren. Zu Bismarcks Zeiten ging das noch. Heute verdienen Großkonzerne viel Geld mit Daten und Dienstleistungen. Ich bin dafür, den Sozialstaat stärker über weitere Wertschöpfungsbereiche sowie über Steuern zu finanzieren. Und nicht nur alles den beitragszahlenden Arbeitnehmern und Arbeitgebern aufzubürden.

Noch einmal zurück zum Lehrlings-Nachwuchs. Die GroKo will eine Mindestausbildungsvergütung einführen. Was bedeutet das für die Betriebe? - Die Mindestausbildungsvergütung ist politisch beschlossen und wird kommen – das ist sicher. Umso entscheidender ist jetzt, wie hoch sie ausfällt. Es gibt Pläne in der Bundesregierung, sie an die Höhe des Schüler-Bafögs zu koppeln. Das wären 504 Euro im ersten Lehrjahr. Ich sehe dabei eine gr0ße Gefahr: Dann würde die Vergütung – wie das Schüler-Bafög – jede Wahlperiode steigen, ohne dass dieser Anstieg an die wirtschaftliche Entwicklung angebunden wäre. Und leider wird in der Debatte ein Punkt völlig ignoriert.

Welcher denn? - Dass sich eine solche Vergütung nicht für alle Gewerke und Regionen über einen Kamm scheren lässt. In vielen Bereichen liegen die tariflichen Ausbildungsvergütungen bereits jetzt wesentlich höher. In den ostdeutschen Bundesländern liegen die Sätze mitunter deutlich darunter. Und das übrigens nicht, weil die Betriebe Gewinnmaximierung betreiben wollen, sondern weil sie einfach nicht mehr zahlen können.

Nur wer gut bezahlt, wird künftig noch Lehrlinge finden können. Welche Lösung schlagen Sie vor? - Mehr als 504 Euro im ersten Lehrjahr dürfen es auf keinen Fall werden. Sonst drohen Tausende Lehrstellen verloren zu gehen, weil es sich viele Betriebe dann nicht mehr leisten können, auszubilden. Wir schlagen zudem eine dreijährige Übergangsfrist vor. Erst wenn die abgelaufen ist, soll eine Mindestausbildungsvergütung überall bezahlt werden müssen. Ohne Frist bekäme in einigen Gewerken sonst ein Lehrling im ersten Lehrjahr mehr als einer im zweiten oder dritten Lehrjahr. Die Höhe der Mindestausbildungsvergütung sollte möglichst von politischem Geschacher fern gehalten und wahlkämpfenden Politikern gar nicht erst ein Instrument zur parteipolitischen Traumabewältigung an die Hand gegeben werden. Wir schlagen daher vor, die Festlegung der Vergütung als separaten Auftrag an die Mindestlohnkommission zu übertragen.


Das Interview führte Rasmus Buchsteiner und erschien am 21. Januar 2019 in der Leipziger Volkszeitung.