91 % der heimischen Unternehmen glauben den politischen Aussagen nicht, dass die Erträge aus der derzeit in Berlin diskutierten CO2-Bepreisung komplett an Unternehmen und Privathaushalte zurückgeführt werden. 85 % sprechen sich gegen weitere finanzielle Belastungen durch eine CO2-Bepreisung aus. Drei Viertel der befragten Firmen lehnen zudem nationale Alleingänge in der Klimapolitik ab. Das sind die wesentlichen Ergebnisse einer aktuellen Unternehmensumfrage der Industrie- und Handelskammer Siegen, an der sich insgesamt 444 Unternehmen beteiligten. „Wenn 9 von 10 Unternehmen nicht an eine kostenneutrale CO2-Bepreisung glauben, ist das mit Blick auf die Glaubwürdigkeit der deutschen Energie- und Umweltpolitik ein niederschmetterndes Ergebnis. Weite Teile der Wirtschaft können offenbar mit dem in den letzten Jahren praktizierten Wackelkurs der Bundesregierung nichts anfangen. Auch die klare Warnung vor mehr Kosten durch die neue Klimapolitik ist ein deutlicher Fingerzeig“, kommentiert IHK-Präsident Felix G. Hensel die zentralen Ergebnisse der Umfrage.
Im sogenannten Klimakabinett berät die Bundesregierung, wie der künftige klimapolitische Fahrplan aussehen soll. Zentrales Element zur Erreichung der Klimaziele soll eine wirksame Reduzierung des CO2-Ausstoßes sein. Um dies zu erreichen, werden aktuell zwei Modelle diskutiert: eine neue CO2-Steuer oder eine Ausweitung des etablierten europäischen Emissionshandels. Um die Akzeptanz zu erhöhen, betonen Politiker immer wieder, dass der Staat steigende Kosten rückerstatten werde. Nicht mehr staatliche Einnahmen seien das Ziel, sondern eine Steuerungswirkung zu klimafreundlichem Verhalten. Die Antworten der IHK-Umfrage verdeutlichen, dass sich die regionale Wirtschaft mehrheitlich gegen eine CO2-Bepreisung ausspricht. Felix G. Hensel: „Zwei Drittel der Unternehmen geben an, dass eine CO2-Bepreisung nicht zielführend sei, den Ausstoß von CO2 nachhaltig zu reduzieren. Ebenfalls zwei Drittel der Betriebe sehen in ihr ein großes oder sogar sehr großes Risiko für den Wirtschaftsstandort.“ Da die regionale Wirtschaft den energiepolitischen Bekundungen aus Berlin offensichtlich nur noch sehr wenig Glauben schenkt, verwundern die Befragungsergebnisse die Kammer nicht. IHK-Hauptgeschäftsführer Klaus Gräbener: „Wir stecken als Staat seit Jahren unzählige Milliarden Euro in den Ausbau erneuerbarer Energien, verfehlen gleichzeitig unsere klimapolitischen Ziele jedoch immer eklatanter. Mit Vernunft hat das wenig zu tun. Die Energiewende hat uns ein nahezu undurchschaubares Geflecht an Steuern und Abgaben beschert. Dieses Geflecht wird nicht dadurch besser, dass man es noch komplizierter ausgestaltet, um noch mehr Finanzmittel umverteilen zu können.“ Es sei für die IHK daher auch nicht überraschend gewesen, dass sich fast die Hälfte (46 %) der Firmen weder für die CO2-Steuer noch für die Erweiterung des Emissionshandels begeistern könne. Schließlich zahle die deutsche Wirtschaft schon heute die höchsten Strompreise in Europa. Weiter steigende Stromkosten würden die Wettbewerbsfähigkeit unserer zu großen Teilen exportorientierten Unternehmen schmälern. Die Gesamtbelastung der Firmen müsse sinken, nicht aber steigen. Klaus Gräbener: „Wir sind dabei, den Bogen zu überspannen. Kernenergie und Kohle sind verpönt, Gas aus Russland will man auch nicht und der Ausbau von Stromtrassen wird kraftvoll blockiert. Das alles verwirrt. Eine Klima- und Energiepolitik aus einem Guss jedenfalls ist nicht erkennbar. Mit immer größerem Aufwand realisiert der Staat immer zweifelhaftere Erträge. Effizientes und verlässliches staatliches Handeln fühlt sich anders an.“
Gefragt nach den wesentlichen Risiken, befürchtet fast jedes zweite Unternehmen (47 %), dass ein nationales Vorgehen die Wettbewerbsfähigkeit gefährden wird. 75 % der Unternehmen lehnen eine CO2-Bepreisung daher auch ab, wenn sich kein europaweites Prozedere abzeichnet. Nur 19 % würden einen „nationalen Alleingang“ in dieser Frage akzeptieren. Ein Drittel der Unternehmen sieht die Gefahr, dass bei einem rein nationalen Vorgehen Branchen oder Produktionszweige in Länder mit weniger strengen Auflagen verlagert werden. Felix G. Hensel: „Das ist eine deutliche Botschaft. Der Klimawandel ist nicht im staatlichen Klein-Klein zu bewältigen. Wir müssen hier europäische und globale Lösungen finden und auch mitfinanzieren. Notwendig sind weltweite Aufforstungsprogramme, der Ausbau der Forschungsmittel und vor allem ein international konzertiertes Vorgehen. Das bringt deutlich mehr als nationale Alleingänge, die allenfalls dazu führen, dass wir demnächst unseren Energiebedarf verstärkt aus französischen Atomkraftwerken sowie polnischer und tschechischer Kohleverstromung beziehen.“
Immerhin 16 % der Unternehmen befürchten bei einem nationalen Vorgehen ein ähnliches europarechtliches Debakel wie bei der Pkw-Maut. Aber auch für den privaten Endverbraucher wird eine CO2-Bepreisung Auswirkungen haben. 46 % der Unternehmen sehen in der Verteuerung ihrer Produkte ein Risiko. 33 % der Unternehmen sind der Auffassung, dass sich zusätzliche Abgaben bei schwierigen konjunkturellen Rahmenbedingungen besonders negativ auswirken. Die Umfrage liefert auch Antworten auf die Frage, was bei der Umsetzung der CO2-Bepreisung zwingend zu beachten ist. Für fast jedes zweite Unternehmen (48 %) ist es von Bedeutung, dass vor der Einführung einer CO2-Bepreisung die ökonomischen Auswirkungen und die wirtschaftlichen Folgen auf die verschiedenen Branchen und Unternehmensgrößen sorgfältig zu prüfen sind. Darüber hinaus ist für die Unternehmen von Bedeutung, dass die Diskussion um eine CO2-Bepreisung auch genutzt werden muss, um das komplexe System von Abgaben und Umlagen der Stromkosten zu vereinfachen. Für 26 % der Unternehmen ist dies ein wichtiger Aspekt. 36 % der Unternehmen geben zudem an, dass zwingend ergänzende Maßnahmen getroffen werden müssen, um Importe aus Ländern, in denen die Produzenten nicht für Emissionen zahlen, zu verteuern. Klaus Gräbener: „Politische Schnellschüsse sind jedenfalls zu vermeiden. In die phasenweise beinahe hysterisch geführte Debatte muss mehr Sachlichkeit einziehen. Die jährlich allein in Brasilien vernichtete Waldfläche ist 1.500 mal größer als der Hambacher Forst. Dies verdeutlicht, in welchen Themenfeldern die größten Effekte für eine verbesserte Klimapolitik zu erblicken sind.“ Der Klimawandel mache jedenfalls nicht an der Landesgrenze halt. Man benötige in der Klima-, Energie- und Umweltpolitik mehr Zeit für die Umstellung und ein besser koordiniertes staatliches Handeln. Felix G. Hensel und Klaus Gräbener abschließend: „Wer meint, man könne die Energieversorgung eines derart international eingebundenen Wirtschaftsstandortes wie Deutschland quasi auf Knopfdruck umschalten, blendet bewusst oder unbewusst die dabei auftretenden Probleme aus. Ein Großtanker braucht schließlich auf hoher See auch deutlich mehr Zeit für ein Wendemanöver als ein Schnellboot.“
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