Im Gespräch mit dem Magazin "Handwerk in Bremen" spricht ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer über drohende Dieselfahrverbote und warum Autohersteller für Hardware-Nachrüstungen aufkommen müssen. - Frage: Rund 90 Prozent der Nutzfahrzeuge im Handwerk werden mit Diesel angetrieben. Wie wirkt sich das Urteil zu den Fahrverboten vom 27. Februar bislang aus? Wollseifer: Zunächst ist das Urteil kein Freibrief für allgemeine Fahrverbote in Ballungsräumen. Das Bundesverwaltungsgericht hat klargestellt, dass Fahrverbote nur das letzte Mittel sind, um die Schadstoffgrenzwerte zu erreichen, und dass die Verhältnismäßigkeit zu beachten ist. Wir fordern, die Grenzwerte durch andere Maßnahmen zu unterschreiten und appellieren an die Kommunen und Städte, alles zu tun, um Fahrverbote zu vermeiden. Fahrverbote sind kein Selbstzweck. Sie sind der falsche Weg und noch dazu massive Eingriffe in Eigentumsrechte, in Mobilität und in die Freiheit beruflicher Betätigung. Von Fahrverboten betroffen wären neuwertige Euro-5-Fahrzeuge von 2015 oder 2016 mit teils besseren Abgaswerten als aktuelle Euro-6-Fahrzeuge.
Es geht also nicht um kurz vor dem Ausrangieren stehende uralte Fahrzeuge, die Rauchsäulen hinterlassen, sondern um einen modernen Fuhrpark. Wir werden hier weiter auf unserem Recht des Vertrauens- und Eigentumsschutzes bestehen. Bei unseren Betrieben erzeugt das Urteil natürlich Unsicherheit. Denn die Aussicht, möglicherweise bald nicht mehr problemlos in die Innenstädte zu kommen oder noch gravierender, den Fuhrpark austauschen zu müssen, kann verständlicherweise keinen Unternehmer begeistern. Fahrverbote könnten für eine Reihe unserer Handwerksbetriebe existenzbedrohend sein. Die Fahrzeuge sind häufig wesentlicher Teil des Betriebsvermögens. Mobilität gehört zum Geschäftsmodell von Handwerkern. Heizkessel, Fensterglasscheiben oder sperrige Rohre lassen sich nicht auf dem Fahrrad oder in der Bahn zum Kunden transportieren. Den Handwerkern läuft in vielen Städten nun die Zeit davon. Daher brauchen wir schnelle und pragmatische Lösungen.
Wie müsste die Bundesregierung aus Ihrer Sicht anstelle von Fahrverboten handeln, und welche Fehler hat sie bisher im Umgang mit Industrie und Handwerk gemacht?
Die Politik muss die Verursacher der Situation in die Pflicht nehmen: Die Autohersteller müssen über Softwareupdates hinausgehend technische Nachrüstungen an den dafür geeigneten Fahrzeugen ermöglichen und als Verursacher der Misere dafür auch finanziell einstehen. Es kann nicht sein, dass Handwerker und Verbraucher die Zeche zahlen. Die Industrie hat zudem die Aufgabe, schadstoffarme, leistungsfähige und für das Handwerk geeignete Transporter auf den Markt zu bringen. In diesem Segment gibt und gab es fast nur Diesel. Es ist mehr als enttäuschend, dass die Autohersteller auch zu Beginn des Jahres 2018 kaum für das Handwerk geeignete Fahrzeuge mit der neuesten Norm Euro 6d sowie sehr niedrigen NO2-Werten anbieten. Auch im Bereich der E-Transporter entwickelt sich der Markt erst langsam. Das Handwerk ist auf leistungsstarke Fahrzeuge angewiesen. Aber das Handwerk kann natürlich nur die Fahrzeuge kaufen, die auf dem Markt sind und angeboten werden. Politik, Städte und Kommunen sollten sich darüber hinaus sofort daran machen, alle zur Verfügung stehenden Optionen zur Schadstoffreduzierung noch intensiver umzusetzen, um Fahrverbote überflüssig zu machen. Die Fördermittel stehen für die Kommunen bereit. Der ÖPNV muss ausgebaut und Dieselbusse nachgerüstet werden. Es muss in Verkehrsleitsysteme für einen stauvermeidenden Verkehrsfluss investiert werden. Zudem muss eine Infrastruktur für E-Mobilität, aber auch für andere innovative Antriebssysteme geschaffen werden. Wir sehen schon jetzt, dass die Schadstoffwerte an den Messstationen immer mehr zurückgehen. Und dabei haben viele Maßnahmen im vergangenen Jahr noch gar nicht gegriffen. Mit noch etwas mehr Anstrengung aller Akteure schaffen wir es, die Grenzwerte in den meisten Städten bald zu unterschreiten und damit Fahrverbote zu vermeiden. Uns im Handwerk interessieren Lösungen. Wir appellieren sowohl an die Autoindustrie als auch an Umweltverbände, von Maximalpositionen abzurücken und sich gemeinsam für eine pragmatische und rein sachbezogene Luftreinhaltepolitik einzusetzen.
Wie sieht es beispielsweise mit Nachrüstungen für Dieselfahrzeuge aus?
Die Autohersteller müssen endlich den Einbau moderner Systeme zur Reduzierung von Stickoxid in dafür geeignete Bestandsfahrzeuge unterstützen. Handwerker, die im Vertrauen auf norm gerechte Produkte ihre Fahrzeuge vor wenigen Jahren erwarben, dürfen nicht diejenigen sein, die die Zeche zahlen müssen. Wir werden nicht jedes alte Dieselfahrzeug in allen Regionen Deutschlands nachrüsten können. Aber Nachrüstung kann ein wichtiger Baustein der Luftreinhaltepolitik sein, gerade für
neuere kostenträchtige und für lange Nutzungsdauer ausgelegte Fahrzeuge im Handwerk sowie bei vielen anderen Nutzern. Wir sollten schnell die Voraussetzungen schaffen, damit wir mit Pilotverfahren in Ballungsräumen anfangen können, die dann weiter auszudehnen sind. Die Politik muss für solche Nachrüstungen schnellstens den entsprechenden gesetzlichen Rahmen schaffen. Die Bundespolitik trägt durch eine in der Vergangenheit lasche Normsetzung auf EU-Ebene und zudem unzureichende Kontrollen natürlich eine Mitschuld. Sie muss sich dementsprechend ebenfalls für die Betroffenen engagieren und gute Rahmenbedingungen für eine möglichst breite Anwendung von Nachrüstmöglichkeiten schaffen. Hier erwarte ich endlich Bewegung bei Industrie und Politik.
Nicht alle betroffenen Städte haben bisher auf das Urteil reagiert, manche sind zögerlich, zum Beispiel Bremen. Wie sieht aus Ihrer Sicht in Zukunft der allgemeine Umgang mit den Fahrverboten aus?
Fahrverbote sind nicht alternativlos. Es gibt zahlreiche Maßnahmen und Lösungswege, mit denen sich Schadstoffe spürbar reduzieren lassen. Mit intensiven Anstrengungen aller Beteiligten ist es in den meisten Städten möglich, die Grenzwerte in absehbarer Zeit zu unterschreiten. Die Möglichkeiten müssen nur ausgeschöpft werden. Wir brauchen konzentrierte Aktivitäten: Alle versprochenen Förderprogramme müssen in den Städten schnell umgesetzt werden – ÖPNV-Ausbau, Verkehrsverflüssigung, Busnachrüstungen. Die Softwareupdates sind fortzuführen und abzuschließen. Wenn Gerichte auf Basis des aktuellen Urteils einzelnen Städten mit sehr hohen Überschreitungswerten keine Wahl lassen, müssen Fahrverbote in jedem Fall hinsichtlich der räumlichen Ausdehnung und der betroffenen Fahrzeugen eingegrenzt werden. Es muss für die notwendigen Dienste des Handwerks für Verbraucher und Städte umfassende Ausnahmeregelungen geben. Bisher vorliegende Urteile von Verwaltungsgerichten und nun auch des Bundesverwaltungsgerichts ermöglichen es, so vorzugehen. Einzelne Ausnahmeregelungen für versorgende Betriebe reichen aber nicht aus, denn auch die Mitarbeiter müssen mit ihren Fahrzeugen in die Stadt kommen. Und wir denken auch an unsere Beschäftigten, die frühmorgens an Baustellen oder in der Backstube sein müssen, wenn noch kaum ein Bus fährt. Die Ausnahmeregelungen müssen unbürokratisch, längerfristig und flexibel sein. Handwerker dürfen dabei nicht zu Bittstellern werden.
Was müsste geschehen, damit die Luft in deutschen Städten besser wird, und was könnten Handwerksbetriebe in punkto Luftverschmutzung in eigener Sache tun?
Grundsätzlich setzen wir uns für eine Luftreinhaltepolitik mit Augenmaß ein, die an allen Emissionsquellen ansetzt, moderne Techniken voranbringt und nicht einzelne Emittenten, wie etwa die Dieselfahrzeuge, einseitig verteufelt und benachteiligt. Es gibt nicht das eine Wundermittel, sondern nur einen Mix aus verschiedenen Maßnahmen. Die Entwicklung der Schadstoffwerte in der letzten Zeit zeigt, dass sich für den Großteil der Städte Fahrverbote verhindern lassen. Wenn konsequent alle Luftreinhaltemaßnahmen und technischen Innovationen umgesetzt werden, können wir fast überall bis spätestens 2020 die Stickoxid-Grenzwerte einhalten. Und das ganz ohne Fahrverbote. Das sollte unser aller Ziel sein: Alles tun, um die Luftwerte zu verbessern sowie Fahrverbote zu vermeiden, mit denen massiv in das Eigentum der Fahrzeughalter eingegriffen und die Lebensfähigkeit der Städte beschädigt würde. Abgesehen davon ist es auch ökologischer Wahnsinn, Hunderttausende oder gar Millionen neuwertige und mit großem Rohstoff- und Energieeinsatz produzierte Fahrzeuge zu verschrotten. Als Handwerk beteiligen wir uns an diesen Anstrengungen aktiv und werden das selbstverständlich auch weiter tun. Wo es geht, weichen die Betriebe bereits jetzt auf Elektromobilität oder Gasfahrzeuge aus oder lassen sich sogar individuelle Transporter bauen, wo die großen Hersteller noch nicht reagieren. Aber das geht erst in wenigen Bereichen. Was noch weitgehend fehlt, sind moderne Dieselfahrzeuge der Norm Euro 6d. Wenn die Betriebe Rechtssicherheit für ihren relativ neuen Fahrzeugbestand haben, und es dann endlich gute Angebote an schadstoffarmen Neuwagen gibt, ist davon auszugehen, dass vermutlich viele auch das Geld in die Hand nehmen, um wirkliche Altfahrzeuge beschleunigt auszutauschen.
Zentralverband des Deutschen Handwerks e.V.
Das Interview führte Frauke Janßen und erschien in der Mai-Ausgabe des Magazins Handwerk in Bremen.