Im Interview mit der Rheinischen Post spricht ZDH-Präsident Wollseifer u.a. über den Fachkräftemangel, die Belastung durch Sozialabgaben und die Wiedereinführung des Meisters. - Die Währungskrise in der Türkei zeigt uns, wie schnell es in einem Land abwärts gehen kann. Macht Ihnen die aktuelle Entwicklung Sorgen? Wollseifer: Die USA machen ja nicht nur Druck auf die Türkei, sondern auch auf die EU, Iran, Russland, China, Nordkorea und andere Länder. Das trägt nicht gerade zur Stabilität des Welthandels, der Weltwirtschaft und der Weltlage insgesamt bei. Das macht mir schon große Sorgen. Gegenwärtig sehen wir vielerorts keine Politik des Miteinanders mehr, wie wir sie kannten, sondern vor allem eine des Gegeneinanders. Das ist der falsche Weg, und doch müssen wir uns viel besser wappnen. Eigentlich sollte es darum gehen, Handelsschranken abzubauen und gemeinsam Handel zu betreiben. Aber so wie es aussieht, müssen wir uns wohl auf härtere Auseinandersetzungen nicht nur mit den USA und auf insgesamt härtere Zeiten in der Zukunft einstellen. Noch ist die deutsche Wirtschaft in einer sehr guten Verfassung. Deshalb sind die Auswirkungen dieser globalpolitischen Entwicklungen auf uns zum Glück noch begrenzt. -
Was prognostizieren Sie für das Handwerk im laufenden Jahr? - Wir rechnen im Handwerk mit einem Wachstum von mindestens drei Prozent, wie schon in den Vorjahren. Die Geschäfte im Handwerk laufen im zweiten Quartal 2018 nochmals besser, dennoch rechnen die Betriebe im weiteren Jahresverlauf nicht damit, dass sie das weiter steigern können, weil sie dafür einfach nicht genügend Mitarbeiter finden.
Der Fachkräftemangel erweist sich mehr und mehr als eine Wachstumsbremse – sonst wäre im Handwerk sogar noch mehr drin. Aber auch so wird wohl das kommende Jahr, wenn wir keinen harten Winter haben, mit dem Schwung aus diesem Jahr sehr gut anlaufen. 79 Prozent unserer Betriebe rechnen mit ähnlich positiven und 15 Prozent sogar mit nochmals verbesserten Geschäften im weiteren Jahresverlauf. Das sind historische Höchstwerte.
Wegen der vollen Auftragsbücher sind Handwerker knapp geworden. Wie lange muss man warten?
In allen Bau- und Ausbaugewerken müssen Kunden momentan bis zu zwölf Wochen warten, bis ein Handwerker kommt. Wir suchen händeringend Fachkräfte, in der nächsten Zeit werden wir die aber kaum bekommen, weil zu wenige in den vergangenen Jahren eine berufspraktische Ausbildung gemacht haben, stattdessen lieber an die Uni gegangen sind. Die Folgen spüren wir jetzt. Dabei bietet das Handwerk überproportional Ausbildungsplätze an. Und obwohl es gelungen ist, die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge von Januar bis Juli 2018 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um mehr als vier Prozent zu steigern, gibt es derzeit immer noch rund 30.000 offene Ausbildungsplätze. Jugendliche, die noch auf der Suche sind, kann ich nur ermuntern: Schaut Euch im Handwerk um, da ist bestimmt etwas für Euch dabei. In eine Ausbildung könnt Ihr auch jetzt noch immer starten. Zum Stichtag 30. September werden aber – trotz unserer Bemühungen und unseres Werbens – voraussichtlich um die 20.000 Plätze unbesetzt sein.
Was denken sich die Betriebe aus, um attraktiver für Lehrlinge zu werden?
In ländlichen Gebieten bieten Betriebe Mobilitätshilfen an. Lehrlinge können etwa Firmenfahrzeuge nutzen, um zur Berufsschule zu fahren. Oft stellen die Betriebe den Azubis auch Wohnungen zur Verfügung, oder sie locken mit einem Handy. Aber am überzeugendsten sollte die Ausbildungsqualität eines Betriebes sein. Handwerkskammern, Innungen und Kreishandwerkerschaften tun extrem viel, um über Beratungs- und Schulungsprogramme, Workshops, ehrenamtliche Unterstützung durch Senior Exports, ausbildungsbegleitende Hilfen und noch vieles andere dafür zu sorgen, das hohe Ausbildungsniveau bei der ganz überwiegenden Zahl der Betriebe zu halten und weiter zu verbessern.
Warum können nicht mehr junge Flüchtlinge die Lücke schließen?
Bis Ende 2017 hatten wir 11.000 Flüchtlinge im Handwerk in der Ausbildung, das war fast die Hälfte aller Geflüchteten, die in Deutschland eine Lehre machen. Das dürfte 2018 noch einmal zugenommen haben. Ich bin aber schon erstaunt, dass sich vor allem große Unternehmen mit der Ausbildung Geflüchteter zurückhalten. Das steht im Widerspruch zu dem, was viele Konzernlenker 2015 und 2016 auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise zunächst angekündigt haben.
Wegen der Rekordbeschäftigung ist die Kasse der Bundesagentur für Arbeit gut gefüllt. Wie stark soll der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung 2019 sinken?
Das, was möglich ist, sollte auch wirklich an Entlastung bei den Arbeitnehmern und Arbeitgebern ankommen. Da ist mit Sicherheit mehr möglich, als die jetzt vereinbarte Senkung um 0,3 Prozentpunkte. Die Höhe der Beitragssenkung von Qualifizierungsmaßnahmen abhängig zu machen, halte ich für nicht vermittelbar. Um 0,5 Prozentpunkte sollte der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung mindestens gesenkt werden. Und das ohne Wenn und Aber. Es ist nun mal kein Geld, über das die Politik frei verfügen kann. Es ist das Beitragsgeld der Arbeitnehmer und der Betriebe, das in Nürnberg nur verwaltet wird.
Gleichzeitig soll der Pflegebeitrag um mindestens 0,3 Punkte steigen.
Wir wissen jetzt schon, dass der Pflegebeitrag sogar um 0,5 Prozentpunkte steigen muss, weil die Leistungen der Pflegeversicherung stark ausgeweitet wurden und man viele neue Pflegekräfte einstellen will. Natürlich sind diese Vorhaben in ihrer Zielsetzung gut, aber schlecht ist, dass zum Bezahlen wieder einmal die Beitragszahler herhalten sollen. Das sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben, und die müssen dann auch von der gesamten Gesellschaft durch Steuern bezahlt und nicht wieder nur den Beitragszahlern aufgeladen werden.
Warum soll die Meisterpflicht in vielen Gewerken wieder eingeführt werden?
Wir halten es für richtig, Fehler wieder zu korrigieren, die die Abschaffung der Meisterpflicht 2004 für mehr als 50 Gewerke zur Folge hatte. Die Reform hat dazu beigetragen, dass heute zehntausende nicht ausreichend qualifizierte Solo-Selbstständige als Handwerker unterwegs sind. Da erleben wir vielfach einen Qualitätsverfall, der dem Handwerk insgesamt einen Imageschaden beschert. Viele Solo-Selbstständige sorgen auch zu wenig oder gar nicht vor, haben sich teils komplett aus den Sozialversicherungssystemen verabschiedet. Sie sind nicht für das Alter abgesichert und auch nicht bei Krankheit oder Unfällen. Am Ende ist es dann wieder die Allgemeinheit, die sie finanziell auffangen muss.
Steigt die Zahl der Solo-Selbstständigen auch wegen der Migration aus anderen EU-Staaten?
Die EU-Dienstleistungsfreiheit hat den Wettbewerb bei uns verschärft. Das ist wünschenswert, solange der Wettbewerb fair bleibt. Aber wer keine Sozialversicherungsabgaben leistet, der kann natürlich ganz andere Preise kalkulieren und anbieten als Betriebe, die diesen Pflichten nachkommen. Einige Handwerkskammern berichten mir, dass Arbeiter aus Osteuropa oft in Bussen gemeinsam ankommen, sich dann einzeln als Solo-Selbstständige bei den Kammern anmelden und danach auf großen Baustellen wieder gemeinsam in Kolonnen arbeiten. Dieser Missbrauch der Dienstleistungsfreiheit muss unterbunden werden.
Handwerksangebote im Internet sind gefragt. Machen neue Online-Plattformen den Betrieben zu schaffen?
Wenn Dienstleistungen von qualifizierten Handwerkern online vermittelt werden, dann kann das für junge Handwerksbetriebe durchaus ein Sprungbrett und eine Möglichkeit sein, sich einen Kundenstamm aufzubauen. Es macht uns aber zu schaffen, wenn es um die Vermittlung von nicht qualifizierten Dienstleistern im Internet geht. Das ist zum Beispiel bei Haushaltshilfen aller Art der Fall. Hier bieten sich meistens Privatleute als vermeintliche Selbstständige an, die sich aus dem Sozialsystem herausgezogen haben. Zudem wird Arbeit, die auch von Unternehmen ausgeführt werden könnte, an Privatleute verteilt, die im Internet ihr Angebot machen. Wie die dann ihre Steuern zahlen und sich sozial absichern, bleibt ungeklärt.
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