Impressionen des Deutsch-Französischen Handwerkskammertreffens vom 13. bis 15. Mai 2019 in Köln. ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer und Bernard Stalter, Präsident der CMA France, sprachen während des 23. Deutsch-Französischen Handwerkskammertreffens mit dem Deutschen Handwerksblatt über die deutsch-französische Freundschaft und Herausforderungen in Europa. Das Interview erschien online am 24. Mai 2019.- Das Deutsch-Französische Handwerkskammertreffen ist eine wichtige Plattform für den Austausch und für die Freundschaft. Was lag in diesem Jahr in Köln an? Wollseifer: Für uns sind es wichtige Tage, um unsere Freundschaft aufzufrischen und über gemeinsame Projekte zu sprechen. Vor allem sprechen wir aber auch über Europa und darüber, dass die jungen Leute in Deutschland und in Frankreich das Nachbarland kennenlernen. Kultur, Historie und das Handwerk des Anderen kennenlernen: dazu dient dieses Treffen. Nur so können wir gegenseitig ein Verständnis für Herausforderungen und Probleme des anderen entwickeln.
Stalter: Die Europäische Union fußt auf einem Grundpfeiler: Dieser Grundpfeiler sind Deutschland und Frankreich. In den kommenden Monaten wird viel von den Entscheidungen dieser beider Staaten abhängen. Deshalb hätte der Termin für unser deutsch-französisches Handwerkskammertreffen zwei Wochen vor der Europawahl nicht besser gewählt sein können. Wir müssen uns in Europa Gehör verschaffen. Es geht uns bei unserem Treffen auch darum, dass wir die grenzüberschreitende Ausbildung weiterentwickeln, vor allem das Erasmus-Projekt.
Welche Projekte möchten Sie in den nächsten Jahren implementieren, um damit die deutsch-französische Freundschaft noch stärker zum Ausdruck zu bringen?
Stalter: Ein Projekt, über das wir sprechen wollen, ist leider aus einer Katastrophe heraus entstanden: Nach dem Brand von Notre-Dame haben wir von vielen deutschen Handwerkskammern das Angebot bekommen, Unterstützung beim Wiederaufbau von Notre-Dame zu leisten. Hier sind bei der deutsch-französischen Zusammenarbeit Betriebe vor allem aus dem Bereich Denkmalschutz involviert. Ein weiteres Thema sind die Reformen der Berufsbildungsgänge. Hier kann ich mir vorstellen, dass beide Länder mit dem Ziel zusammenarbeiten, ein europäisches Berufsbildungszentrum zu schaffen. Damit wollen wir eine europäische Zusammenarbeit einleiten.
Wollseifer: Unsere Projekte sollen auch dazu dienen, den Wissenstransfer zu fördern. Deshalb wollen wir die 26 bestehenden Partnerschaften zwischen deutschen und französischen Handwerkskammern, in denen wir Lehrlingsaustausche fördern, weiter ausbauen. Bei vielen Themen stehen Deutschland und Frankreich vor ähnlichen Herausforderungen, deshalb ist uns der Erfahrungsaustausch so wichtig. Das haben wir in den Workshops angesprochen, damit wir voneinander lernen können. Nehmen Sie etwa die Themen Entwicklungszusammenarbeit und Bürokratieabbau. Wir müssen Fluchtursachen auch durch Entwicklungszusammenarbeit bekämpfen. Bürokratieabbau ist unseren beiden Ländern ein wichtiges Thema. In einer Zeit, in der weltweiter Handel durch Protektionismus, nationales Denken, Abschottungsmaßnahmen, hohe Zölle und Export behindert wird, muss die Politik ihren Blick besonders auf die Binnenwirtschaft richten. Und das Handwerk ist eben der Hauptplayer der Binnenwirtschaft. Wir sind das Rückgrat der Wirtschaft im Land und fordern entsprechende Rahmenbedingungen. Das gilt gerade für die kleinen und mittleren Unternehmen. Sie dürfen nicht mit Steuern, Sozialabgaben und Bürokratie überfordert werden.
Sie haben den Wissenstransfer angesprochen. Was können sich die Deutschen konkret von den Franzosen auf organisatorischer und betrieblicher Ebene abschauen und umgekehrt?
Wollseifer: Es ist eine ganz große Erfahrung, wenn junge Leute eine Zeit lang im Nachbarland bei Freunden arbeiten dürfen. Das wollen wir diesen jungen Leuten auch weiterhin bieten.
Stalter: Es ist ganz, ganz wichtig, dass junge Menschen Erfahrungen machen, neue Kenntnisse erwerben und sich weiterentwickeln. Wir haben in Frankreich ein ähnliches System wie die Walz: Die Compagnon du devoir. Das bedeutet, dass die Gesellen in ganz Frankreich Berufserfahrung erwerben. Warum sollte das nicht auch auf Deutschland ausgeweitet werden? Ich glaube, es ist grundlegend, dass man hier weiter seine Kenntnisse ausbaut, um das Handwerk insgesamt nach vorne zu bringen. Und deswegen möchten wir, dass immer mehr Menschen – auch im Handwerk – ins Ausland gehen und in verschiedenen Ländern Erfahrungen sammeln und dazulernen.
Wie soll es mit Europa grundsätzlich weitergehen? Ganz konkret: Welche Forderungen stellen Sie an das neue Europäische Parlament? Und wenn Sie mal in das Nachbarland schauen, die Franzosen also schauen nach Deutschland, die Deutschen nach Frankreich: Wenn Sie sich etwas wünschen dürften, was im Nachbarland besser läuft und Sie bei sich auch verwirklicht sehen möchten, was wäre das?
Stalter: In Frankreich gibt es eine Million Handwerksbetriebe, 3,5 Millionen Menschen, die als Erwerbstätige im Handwerk beschäftigt sind und 140.000 Auszubildende. Bei 99 Prozent der Betriebe handelt es sich um kleine und mittelständische Betriebe. 93 Prozent dieser Handwerksbetriebe haben weniger als zehn Mitarbeiter. In Frankreich und auch in der Europäischen Union hat man oft den Fehler begangen, sich zu sehr auf Großunternehmen zu konzentrieren. Man hat gedacht, dass Wirtschaft und Wachstum nur über Großunternehmen entstehen. Handwerk steht bei dieser Betrachtung leider nicht im Fokus. Deswegen bleibt es oft auch mal außen vor. Wir brauchen eine Gleichbehandlung für alle Unternehmen, egal, wo sie ihren Sitz haben, wie groß sie sind und aus welcher Branche sie kommen.
Ich habe schon immer gerne über den Rhein hinüber nach Deutschland geschaut und war da ein wenig neidisch auf die Ausbildung. Das ist tatsächlich ein Bereich, in dem wir von Deutschland lernen können. In Deutschland ist es doch so: 23 Prozent der Auszubildenden sind im Handwerk, und sieben Prozent der jungen Menschen unter 23 Jahren haben weder Beschäftigung noch Ausbildung. In Frankreich ist es genau umgekehrt: sieben Prozent sind in einer Ausbildung im Handwerk und 23 Prozent der jungen Menschen haben keine Ausbildung und keine Beschäftigung. Wir haben an dem neuen Ausbildungsgesetz, das jetzt in Frankreich in die Wege geleitet wird, intensiv mitgewirkt - und ich gebe zu, dass ich von den deutschen Vorbildern abgeschrieben habe. Der andere Punkt, wo ich denke, dass wir von Deutschland lernen können, ist die bessere Strukturierung der einzelnen Gewerke und auch der Fachverbandsorganisationen.
Wollseifer: Ich würde mir wünschen, dass wir die Verwaltung in Europa zurückfahren. Dass wir Europa groß im Großen denken, wenn es zum Beispiel um die Sicherung der Außengrenzen geht, um Einwanderung und Migration, um Energiewirtschaft oder Digitalisierung. Wir haben viele gemeinsame große Themen in Europa, dafür sollte Europa sich stark machen. Europa sollte sich klein machen in den kleinen Themen. Das Motto von Europa lautet „In Vielfalt geeint“, und der sollte in den EU-Institutionen der Maßstab sein. Ich würde mir einen europäischen Normenkontrollrat wünschen und damit weniger Bürokratie anstelle ständig neuer Detailverordnungen. Die Frage muss doch lauten: Welche Gesetze und Richtlinien sind eigentlich gar nicht nötig? Das wäre der richtige Weg.
Wir können natürlich viel voneinander lernen. Wir haben eingangs schon Kultur und Geschichte genannt. Was können wir noch von Frankreich lernen? Lebensart! Das Leben und das eigene Tun genießen. Handwerk ist und bringt Erfüllung. Ich war vor nicht allzu langer Zeit in der Provence. Es hat mich ganz tief beeindruckt, wie die Leute dort zu leben wissen und wie effizient sie gleichzeitig arbeiten. Ein bisschen weniger „preußische“ Tugenden würde ich mir wünschen und ein bisschen mehr französisches Laissez-faire, das wäre schön.
Bis zur Europawahl ist es nicht mehr lang. Was ist Ihre Botschaft zur Europawahl? Warum ist Europa so wichtig fürs Handwerk?
Wollseifer: Europa und die EU liegen dem Handwerk am Herzen. Wir sagen ganz klar „Ja zu Europa“. Denn gerade das Handwerk, die Betriebe, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, profitieren von dem Wohlstand und der Sicherheit, die Europa uns gebracht hat. Dafür machen wir uns im Handwerk stark. Richtig ist auch: Nicht alles, was aus Brüssel kommt, gefällt uns. Manche Richtlinien, Gesetze und Maßnahmen, die in Brüssel erdacht worden sind, machen unseren Betrieben unnötige Arbeit statt Freude. Aber wir kennen den Wert Europas. Wir wollen Europa besser machen. Dazu braucht es gemeinsame Lösungen. Dazu müssen wir den Zusammenhalt stärken. Dazu müssen wir uns gegen Populisten, Protektionisten, Nationalisten wehren. Wir wollen die demokratischen Kräfte stärken. Das erreichen wir nur, wenn wir möglichst viele Menschen bewegen, zur Wahl zu gehen und die demokratischen Kräfte zu wählen. Dazu rufen wir im deutschen Handwerk auf.
Stalter: Alle Handwerker sollten an den Wahlen teilnehmen. Bitte gehen Sie wählen! Ich kann verstehen, wenn Handwerker oft das Gefühl haben, von den vielen Gesetzen, Normen und Auflagen überfordert zu sein. Europa muss nah am Bürger, nah am Handwerker sein. Man hat oft das Gefühl, dass Europa sehr weit weg und sehr technokratisch ist. Wir haben den Fehler gemacht, mit dem Euro nicht auch gleiche Voraussetzung im Hinblick auf die Sozialsysteme und die Besteuerung geschaffen zu haben. Solange es hier so große Unterschiede gibt, werden wir weiterhin Schwierigkeiten haben. Ich glaube an ein solidarisches Europa. Aber dieses Europa muss nahe am Bürger sein.
Sind Sie für eine weitere Vertiefung, bevor wir die Europäische Union um weitere Länder erweitern?
Stalter: Die Antwort ist ganz klar: ja. Wenn wir zum Beispiel an die Türkei denken, sollte erst mal auf der Tagesordnung stehen, Europa zu konsolidieren. Das Europa, mit dem wir es heute zu tun haben, hat schon Herausforderungen genug.
Wollseifer: Es gibt im deutschen Handwerk eine Million Betriebe. Etwa fünf Prozent davon sind im Ausland tätig, sehr viele davon grenzüberschreitend in Europa. Wir haben also nicht mehr einen nationalen Binnenmarkt, wir haben schon sehr lange einen europäischen Binnenmarkt. Der Marktplatz Europa ist der weltgrößte Markt. Wir haben im Vergleich zu anderen großen Wirtschaftsmärkten nur eine Chance, im Wettbewerb zu bestehen: nämlich, wenn wir diese große Einheit Europas erhalten. Das ist auch unsere Überzeugung im Handwerk. Die Handwerksbetriebe haben vielfältige Vorteile von Europa, durch die offenen Grenzen, durch die Reisemöglichkeiten, durch die gemeinsame Währung, durch die Freizügigkeit von Personen und auch von Gütern und Dienstleistungen. All das sind Errungenschaften, die uns Europa gebracht hat. Aber die allergrößte Errungenschaft ist die Freundschaft zwischen den Völkern. Gerade die Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland ist ein ganz besonderer Schatz. Und diese Wertegemeinschaft, diese Friedensgemeinschaft, diese Wohlstandsgemeinschaft Europa gilt es zu erhalten.
Die Fragen stellten Michael Block und Lars Otten.
Foto: Tom Zygmann/HWK Köln