Drei Fragen an ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke zum Ausbildungsmarkt - Die Bundesagentur für Arbeit hat in dieser Woche ihre Zahlen für August 2020 vorgestellt. Wie bewertet das Handwerk die aktuelle Situation auf dem Ausbildungsmarkt? - Schwannecke: Auch wir im Handwerk stellen fest, dass sich die Corona-Pandemie deutlich auf den Ausbildungsmarkt auswirkt und dort ihre Spuren hinterlässt. Im Vergleich zu 2019 sind bislang viel weniger neue Ausbildungsverträge abgeschlossen worden als sonst üblicherweise um diese Jahreszeit. Von Januar bis Mai waren es 18,3 Prozent weniger als im Vorjahr, im Juni 16,6 Prozent und Ende Juli 2020 dann 13 Prozent. Aber immerhin wird der Rückstand zu den Vorjahren von Monat zu Monat kleiner, was wir erst einmal als Erfolg unserer intensiven Vermittlungsanstrengungen und unserer verstärkt digitalen Anbahnungsbemühungen werten. Auch wenn es immer wahrscheinlicher wird, dass wir bei den Neuverträgen den Vorjahreswert nicht erreichen können, so macht die Tendenz der letzten Monate zuversichtlich, dass es auf das Gesamtjahr gesehen dann doch nicht so schlimm werden wird, wie zwischenzeitlich zunächst befürchtet.
Der üblichen Entwicklung hängen wir etwa zwei Monate hinterher. Uns fehlt das Frühjahr, in dem es unter normalen Umständen Ausbildungsmessen, Praktika oder andere gegenseitige Kennenlernmöglichkeiten gibt. Die Corona-Einschränkungen ließen das in diesem Jahr nicht zu. Das war ein schwerer Schlag für die Berufsorientierung und hat das Matching, also das Zusammenbringen von Jugendlichen und Betrieben, ins Stocken gebracht. Da genau müssen wir jetzt ansetzen, damit noch möglichst viele junge Menschen, die aktuell auf der Suche sind, einen geeigneten Ausbildungsplatz im Handwerk finden.
Welche Botschaft haben Sie in dieser Situation für junge Menschen, die durch die Krise verunsichert sind und sich das mit der Ausbildung vielleicht nochmal überlegen wollen?
Ich kann Sie nur ermuntern, eine Ausbildung im Handwerk zu starten. Der Zug für eine Ausbildung im Handwerk ist noch nicht abgefahren! Auch wenn das Ausbildungsjahr offiziell zum 1. August und einigen Ländern zum 1. September begonnen hat, kann weiter eine Ausbildung angefangen werden. Die Türen der Betriebe stehen weiter offen. Daher mein Appell an alle interessierten Jugendlichen: Steigt ein in den Ausbildungszug! Wir im Handwerk geben niemanden verloren – keinen Jugendlichen und erst recht keine „Generation Corona“. Eine Ausbildung im Handwerk ist immer eine gute Idee. Denn die Auszubildenden von heute sind die Fachkräfte von morgen. Die werden gebraucht – bei allen Themen, die die Zukunft in unserem Land langfristig bestimmen: Nachhaltigkeit, Mobilität, kreatives Wohnen, gesundes Leben, vielfältige Regionen. Und Handwerkerinnen und Handwerker werden nicht zuletzt bei allem gebraucht, was dieses Land am Laufen hält. Das hat sich gerade in der Krise noch einmal deutlich gezeigt. Damit Betriebe und geeignete Azubis zusammenfinden, bietet die Handwerksorganisation jede Menge Kennenlernformate an, vieles davon im Netz. Egal ob beim Azubi-Speed-Dating, der WhatsApp-Sprechstunde oder dem Ausbildungsmobil: Es gibt derzeit viele Wege, um mit einem Ausbildungsbetrieb in Kontakt zu kommen. Jede und jeder kann jetzt noch das Ticket in Richtung Zukunft einlösen. Eine Ausbildung im Handwerk bleibt das Fundament für eine sichere berufliche Zukunft. Daran hat auch Corona nichts geändert.
Was können die politischen Entscheidungsträger tun, um die berufliche Bildung zu stärken?
Das Ausbildungsengagement von Handwerksbetrieben darf in dieser Situation nicht nachlassen. Denn Ausbildung ist der Schlüssel zur Fachkräfteversorgung und unabdingbare Voraussetzung unserer Wettbewerbsfähigkeit und ein zentraler Faktor für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Deshalb muss auch die Politik das ihr Mögliche tun, diese Ausbildungsleistung und die Motivation unserer Betriebe gerade in Krisenzeiten zu stabilisieren. Es ist nur konsequent, ausbildenden Betrieben entsprechende Unterstützung und Anerkennung zukommen zu lassen. Viele Betriebe brauchen Unterstützung, um eine Ausbildung in unsicheren Zeiten zu stemmen. Deshalb ist das Bundesprogramm „Ausbildungsplätze sichern“, das in der Krise aufgelegt wurde, das richtige Zeichen. Doch die berufliche Bildung muss langfristig und nachhaltig gestärkt werden. Dazu braucht es konkret die Förderung einer umfassenden Modernisierung der beruflichen Bildungsinfrastruktur. Dazu braucht es einen kräftigen Digitalisierungsschub in der beruflichen Bildung und auch bei allen Formaten zur schulischen Berufsorientierung. Dazu braucht es weitere Entlastungen der Betriebe, etwa bei den Sozialabgaben, die sie im Zusammenhang mit Ausbildung tragen müssen. Wir schlagen vor, unsere Azubis gleichwertig zu Studenten zu fördern und zu behandeln. Studenten dürfen bis zum 25. Lebensjahr auf dem Ticket ihrer Eltern kranken- und pflegeversichert sein. Warum gilt das nicht auch für Auszubildende? Ähnlich die Unfallversicherung. Für Studenten werden die Kosten von den Ländern getragen – also aus Steuermitteln. Eine solche Entlastung bietet die Gelegenheit, einmal Ernst zu machen mit einer gleichwertigen Behandlung von beruflicher und akademischer Ausbildung. Und nur so werden wir auch zu einem Mentalitätswechsel dahingehend kommen, dass Ausbildung und Studium zwei gleichwertige Wege ins Berufsleben sind.
Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH)
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