Stabwechsel in der Handwerkskammer - Ein Urgestein des Handwerks geht zum neuen Jahr 2019 in den Ruhestand: Peter-Ulrich Kromminga übergibt seinem Nachfolger, Jörg Frerichs, eine gut aufgestellte Handwerkskammer.Zum 1. Januar wird Hauptgeschäftsführer Peter-Ulrich Kromminga seine Aufgaben in die Hände seines bisherigen Stellvertreters, Jörg Frerichs, legen. - In der Handwerkskammer für Ostfriesland hat Peter-Ulrich Kromminga 1981 als Leiter der Betriebsberatungsstelle begonnen. Der Diplom-Ökonom und Diplom-Betriebswirt wurde 2004 als stellvertretender Hauptgeschäftsführer und ein Jahr später als Hauptgeschäftsführer gewählt. Fast 40 Jahre hat Kromminga die Höhen und Tiefen des Wirtschaftszweiges begleitet. Im Interview zieht der 68-Jährige Bilanz:
Frage: Momentan geht es dem Handwerk richtig gut. Die Konjunktur brummt und könnte noch besser laufen, wenn genügend Fachkräfte am Markt wären. Wie hat sich das Handwerk in den letzten Jahrzehnten gewandelt?
Wir haben heute eine Luxussituation. In den 80er Jahren hatten wir in den Wintermonaten in Ostfriesland eine überproportional große Arbeitslosenquote von mehr als 25 Prozent. Junge Leute suchten händeringend Lehrstellen. Die Lage hat sich heute völlig gewandelt. Wirtschaftlich haben sich besonders die ehrgeizigen Klimaziele der Bundesregierung in den letzten Jahren als wahres Konjunkturprogramm für das Handwerk erwiesen. Ostfriesland bezeichnet sich mit Recht als Energiedrehscheibe des Nordwestens. Unsere Mitglieder tragen dazu einen großen Anteil bei: Als Zulieferer für die Industrie im Bereich der On- und Offshore-Windenergie oder als Installateure der Solar- und Photovoltaiktechnik, aber auch als Energieberater oder insbesondere als Sanierer.
Frage: Wie hat sich der Mitgliederbestand entwickelt?
In den 80er Jahren hatten wir in der Handwerksrolle 4.300 Meisterbetriebe eingetragen. Durch eine deutsche Gesetzesänderung 2004 wurden diverse Berufe von der Meisterpflicht befreit. Dadurch hat es eine Entwicklung hin zu vielen kleinen Unternehmen gegeben. Unsere Mitgliederzahl ist in die Höhe geschossen. Mit der Konsequenz, dass in diesen Berufen deutlich weniger oder fast gar nicht mehr ausgebildet wird. Auch die Qualität hat darunter teils gelitten. Mittlerweile hat sich das relativiert. Aber zurzeit werden wieder Stimmen laut, die in einigen Gewerken wie den Fliesenlegern oder Raumausstattern
die Meisterpflicht fordern.
Frage: Das heißt, der Meisterbrief ist ein echtes Wertpapier?
Heute mehr denn je: Der Meister und eine hochwertige duale Ausbildung, um die uns viele Länder rund um den Globus beneiden, sind der Grundstein für unseren gesellschaftlichen Wohlstand und den wirtschaftlichen Aufschwung. Mit Blick auf Europa sind wir das Land mit der geringsten Jugendarbeitslosenquote. Das haben wir unserem dualen Ausbildungssystem und der Fortbildung zum Meister zu verdanken. Vor diesem Hintergrund werden wir uns auch weiterhin für die Gleichstellung der beruflichen mit der akademischen Bildung im Hinblick auf die Ausbildungskosten stark einsetzen.
Frage: Und wie viele Handwerksbetriebe gibt es heute in Ostfriesland?
Heute gehören zu uns etwa 5.300 Handwerksbetriebe, die rund 36.000 Mitarbeiter und 2.800 Auszubildende beschäftigen. Sie alle erwirtschaften einen Jahresumsatz von 3,5 Milliarden Euro. Damit hat sich das Handwerk als größter Arbeitgeber und Ausbilder zum Rückgrat der regionalen Wirtschaft entwickelt.
Frage: Warum ist eine Kammer vor Ort für die Betriebe wichtig?
Unsere kleine Kammergröße ist ein Vorteil: Wir kennen unsere Mitgliedsbetriebe. Wir verstehen uns als Dienstleister für unsere Kunden. Kurze Dienstwege werden bei uns groß geschrieben. Auch unser Ansehen in den Ministerien ist sehr positiv. Das ist wichtig, um sich auch in der Politik Gehör zu verschaffen. Als Zahlenmensch habe ich immer darauf Wert gelegt, wirtschaftlich zu arbeiten. Das gelingt uns sehr gut, was unsere Bilanzen belegen. Außerdem haben wir ein sehr gutes, geschultes Personal, welches den Betrieben in Fachfragen kostenfrei mit Rat und Tat zur Seite steht – sei es in juristischen Bereichen, in Fragen zur Technik und Innovationen oder zur Existenzgründung. Mit diesem „Standing“ bin ich sicher, dass wir auch in hundert Jahren noch selbstständig sind.
Frage: Wenn man über 30 Jahre in einem Bereich engagiert tätig war, hinterlässt man unweigerlich „Spuren“. Welche schreiben Sie sich zu?
Einige, die mit dem Alltagsgeschäft einhergegangen sind: Zu nennen sind da unsere Umstellung von der Kameralistik auf die Doppik, als eine der ersten Kammern Deutschlands, unser Qualitätsmanagement, welches auch nicht selbstverständlich in unserer Branche ist. Unsere kürzlich erhaltene Auszeichnung zum familienfreundlichen Arbeitgeber und die Ehrung für unser Gesundheitsmanagement. Da bin ich sehr stolz drauf.
Frage: Aber auch das Aussehen der Handwerkskammer hat sich verändert?
Ja. Ich habe den Ausbau und die Sanierung des Gebäudebestands in Aurich mit Investitionen von zwölf Millionen Euro vorangetrieben. Früher haben wir über unsere Flachdächer die Heizkosten verfeuert. Zwei Millionen Kilowattstunden jährlich konnten wir auf 800.000 Kilowattstunden reduzieren. Das hat uns eine Kostenersparnis von 60 Prozent gebracht. Heute haben wir auf 30.000 Quadratmetern moderne Verwaltungsgebäude und Ausbildungswerkstätten von der SPS-Werkstatt bis zu unseren Kfz-Hallen aufgebaut. Damit können wir dem Handwerk ortsnahe und auf die Zukunft ausgerichtete Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten bieten.
Frage: Stichwort Digitalisierung: Das Handwerk ist derzeit mitten im Umbruch, sich neu aufzustellen. Wie kann die Branche das meistern?
Neben dem Fachkräftemangel ist „Handwerk 4.0“ eines der aktuellen Themen, die das Handwerk auch in Zukunft begleiten wird. Wir haben eine erhebliche Digitalisierungsoffensive angeschoben, in der wir in den nächsten Jahren rund 4,3 Millionen Euro in den technischen Ausbau unseres Berufsbildungszentrums in Aurich investieren. Außerdem stellen wir im Januar einen Digitalisierungsbeauftragten ein, um unsere Mitglieder auf diesem Weg bestmöglich zu begleiten. Allerdings muss die Politik auch die richtigen Rahmenbedingungen in unserer ländlich geprägten Region schaffen. Ich spreche vom flächendeckenden Ausbau des schnellen Internets und des Mobilfunknetzes.
Frage: Was geben Sie Jörg Frerichs als guten Tipp mit auf den Weg?
Immer aufs Team zu setzen: Meine Arbeit ist keine „One-Man-Show“. Alle Erfolge sind immer auf das gute Zusammenspiel unserer Mitarbeiter zurückzuführen. Ich konnte mich immer auf alle verlassen und habe Wert auf gut ausgebildete Fachkräfte gelegt. Ein Pfund, mit dem Jörg Frerichs auch wuchern und wachsen kann. Da bin ich mir sicher.
Frage: Was fangen Sie jetzt mit ihrer Freizeit an?
Die Digitalisierung wird mich auch weiterhin begleiten. Als Geschäftsführer der Firma „meerzeit.store“ betreibe ich gemeinsam mit meinem Sohn einen Uhren-Online-Handel, der auch über Facebook, Instagram und Co. beworben wird. Außerdem plane ich, viel zu reisen und zu lesen. Alles andere wird sich mit der Zeit ergeben.
Foto: HWK/W. Feldmann
Handwerkskammer für Ostfriesland
Straße des Handwerks 2
26603 Aurich