ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer spricht im Interview mit der Rheinischen Post über Versäumnisse der Autohersteller in der Dieselkrise, zu hohe Firmensteuern und die ausufernde Bürokratie. In vielen Städten gelten bereits Diesel-Fahrverbote. Was bedeuten die Verbote für die Handwerksbetriebe?
Die Fahrverbote sind Mobilitäts- und Wirtschaftsbremsen für das Handwerk. Wir sind gleich mehrfach davon betroffen: Handwerker können zwar in der Regel Ausnahmen vom Fahrverbot bekommen. In Stuttgart werden Ausnahmen für das Handwerk zurzeit noch pauschal gehandhabt, aber in anderen Städten wird das mit einem vielfältigen bürokratischen Aufwand verbunden sein. Sie müssen zu Ämtern, Gebühren bezahlen, und so weiter. Und das für jedes einzelne Fahrzeug, denn wir bekommen keine Flottengenehmigungen, sondern nur Genehmigungen für Einzelfahrzeuge. Das ist alles sehr umständlich und aufwendig. Zweite Betroffenheit: Für Handwerksbetriebsfahrzeuge mag es Ausnahmen geben, aber schließlich müssen ja auch unsere Mitarbeiter in die innerstädtischen Betriebe kommen, viele fahren ältere Diesel. Und drittens: Viele Handwerksbetriebe liegen in den Fahrverbotszonen, etwa Kfz-Werkstätten. Wie kommen die Dieselkunden zu diesen Betrieben? Denen drohen starke Umsatzverluste.
Der Verkehrsminister ist bei der Hardware-Nachrüstung endlich aktiv geworden. Wie kommt das beim Handwerk an?
Wir sind erleichtert, dass Bundesverkehrsminister Scheuer jetzt endlich eine Nachrüstverordnung vorgelegt hat. Die fordern wir schon seit drei Jahren. Wir wissen, dass für bestimmte Dieselfahrzeuge, die etwa in die USA geliefert wurden, viel früher in Serie oder als Option Katalysatoren zur Senkung der Stickoxid-Emissionen angeboten wurden. Die hätte man als Nachrüstung leicht für ähnliche Modelltypen in Deutschland adaptieren können. Für andere Fahrzeugtypen – gerade im Nutzfahrzeugbereich – rechnen wir in wenigen Monaten mit genehmigungsreifen Nachrüstsätzen von externen Anbietern.…
…regt Sie das nicht auf: In den Exportautos war es schon früher drin, in unseren aber lange Zeit nicht?
Und wie mich das aufregt! Wir haben eine Automobilbranche, die bei Exportautos früher möglich macht, was für die heimischen Kunden angeblich lange nicht geht. Das kostet Bürger und das Handwerk hier sehr viel Geld und Mobilität. Und das hat zu einem großen Vertrauensverlust geführt. Wieso ermöglichen die Konzerne nicht zumindest für die geeigneten Fahrzeugtypen die Nutzung von vorhandener Technik und Know How? Niemand im Handwerk behauptet, dass man jedes Fahrzeug nachrüsten kann. Aber vielen könnte man helfen und Vertrauen wieder gewinnen. Dieselbe Branche hat sich in den letzten Jahren zudem nicht gerade bemüht und es unterstützt, dass wir zu Lösungen kommen. Im Gegenteil: Lösungsversuche hat die Autobranche immer wieder konterkariert, etwa indem sie Motorsteuerungsdaten nicht an interessierte Entwickler weitergegeben hat, die zur Entwicklung der Nachrüstung der Dieselautos notwendig und wichtig für eine Nachrüstverordnung sind. Diese Abwehrhaltung hat letztlich auch das Handeln der Politik blockiert. Jetzt haben Politik, Zulieferer und das Handwerk dafür gesorgt, dass man die Fahrzeuge endlich nachrüsten kann. Und was tut die Autoindustrie? Sie sät Unsicherheit, indem sie erklärt, die Nachrüstung könnte zu Motorschäden, mehr Spritverbrauch führen. Wie sich diese internationale Branche hier aufführt, ist für mich ein absolutes Trauerspiel.
Minister Scheuer will die Nachrüstung mit bis zu 3800 Euro pro Handwerks-Fahrzeug bezuschussen. Reicht das aus?
Das ist ein erster guter Schritt, aber weitere müssen jetzt folgen. Der Zuschuss betrifft nur die 2,8 bis 7,5-Tonner. Was passiert mit den größeren Fahrzeugen über 7,5 Tonnen? Wir haben sehr viele Bauunternehmer, Straßenbauer, Gerüstbauer, Zimmerer, die diese Fahrzeuge fahren. Und was passiert mit den kleinen Fahrzeugen? Sehr viele Handwerker fahren mit kleinen Diesel-Kombis oder Pkws. Das gilt auch für zahlreiche Mittelständer aus weiteren Branchen. Und wenn jetzt schon der Steuerzahler für diese Betroffenen einspringen muss: Umso mehr müssen sich die Autobauer endlich an der Lösung beteiligen. Dieses Verhalten ist für mich skandalös. Wenn ein Handwerker einen Fehler gemacht hat, gilt selbstverständlich die Gewährleistung: Wir haben die Verpflichtung, den Fehler zu korrigieren. Für andere scheint das aber offenbar nicht zu gelten.
Aber die Autoindustrie hat doch hohe Umtauschprämien angeboten.
Mit Verlaub: Das ist der Versuch, die Kunden zu verdummen. Es geht hier ja nicht um einen Umtausch, sondern um eine Prämie für den Neukauf. Die Autohersteller wollen also nicht primär das Dieselproblem lösen, sondern ihre neuen Fahrzeuge verkaufen. Dass das Kraftfahrtbundesamt als staatliche Institution auch noch Werbung für die Umtauschprämien und für den Kauf von Neufahrzeugen macht, halte ich für sehr bedenklich. Das hat schon ein Geschmäckle, wenn sich hier der Staat mit der Autoindustrie gemein macht.
Die Dieselkrise trägt dazu bei, dass sich die Konjunktur derzeit eintrübt. Wie sieht Ihr Ausblick auf das Jahr 2019 aus?
Dem Handwerk geht es weiterhin sehr gut. Wir haben einen starken Binnenmarkt, hohe Löhne, niedrige Zinsen, beste Voraussetzungen, dass es auch in Zukunft gut laufen kann. Wir rechnen mit gut drei, vielleicht sogar vier Prozent Umsatzzuwachs in 2019. Sicherlich zeigen sich erste Bremsspuren, aber die sollte man doch nicht zum Anlass nehmen, eine Konjunkturabschwächung geradezu herbeizureden. Ich finde es kontraproduktiv, wenn verantwortliche Politiker wie etwa der Bundesfinanzminister das tut. Stattdessen wäre es wichtiger, zu motivieren. Vor allen Dingen Politiker sollten dazu beitragen, Bedingungen beim Arbeitsrecht, Steuern und Sozialversicherungen so zu gestalten, dass Betriebe erfolgreich arbeiten und wirtschaften können.
Was müsste die Bundesregierung denn tun, um das Wachstum hoch zu halten?
Die Bundesregierung muss aufhören, lediglich die Gegenwart zu verwalten, sie sollte endlich zukunftsorientierte Politik machen. Doch was geschieht: Sie sattelt immer weiter auf die Sozialstandards durch noch höhere Sozialleistungen drauf. Damit schafft sie dauerhafte Belastungen für die Zukunft. Die werden wir aber nur tragen können, wenn die Wirtschaft weiter gut läuft. Wenn man weiß, dass diese Sozialstandards auch in Zukunft finanziert werden müssen, dann muss man auch dafür sorgen, die Rahmenbedingungen für Unternehmen zu verbessern.
Was heißt das also?
Rund um Deutschland werden die Unternehmenssteuern gesenkt. Wir haben es bald geschafft, uns vom Hochsteuerland zum Höchststeuerland heraufzuarbeiten – eine alles andere als erstrebenswerte Spitzenposition. Der Solidarzuschlag muss deshalb sehr schnell noch innerhalb dieser Legislaturperiode und für alle Einkommensteuerzahler abgeschafft werden. Hier geht es nicht nur um eine wirtschaftspolitische Notwendigkeit, sondern um die Einlösung eines Versprechens. Ich muss Finanzminister Scholz widersprechen: Bleibt der Soli für die oberen zehn Prozent der Steuerzahler erhalten, trifft das nicht nur Millionäre, sondern auch massiv Handwerksbetriebe und deren Mitarbeiter, also unsere Leute. Denn etwa 80 Prozent unserer Handwerker sind Einzelunternehmer. Wenn ein Handwerker 61.000 Euro im Jahr versteuern muss, hat er davon meistens noch nicht einen Euro entnommen für den eigenen Lebensunterhalt. Wir werden das verfassungsrechtlich überprüfen lassen, wenn die Bundesregierung an dem Plan festhält, nur 90 Prozent der Steuerzahler beim Soli zu entlasten.
Eine Wachstumsbremse ist auch die überbordende Bürokratie. Wie bewerten Sie die Initiativen der Regierung zum Bürokratieabbau?
Unsere Betriebe merken so gut wie nichts davon. Im Gegenteil: In unserer Wahrnehmung nimmt die Regelungsdichte weiter zu. Viele Betriebe sind nahe dem Bürokratie-Burn-Out. Viele junge Leute scheuen sich allein schon wegen der vielen Regeln vor einer Firmenübernahme. Wenn jemand einen Betrieb gründen will, muss er heute erst mal um die 600 Fragen beantworten, von den Sozialkassen, vom Finanzamt, von der Baubehörde und so weiter. Wenn einer Bäcker werden will, hat er Hygieneauflagen, Auflagen wegen Allergenen, arbeitsrechtliche Auflagen. Der darf an Sonn- und Feiertagen nur drei Stunden lang Brötchen backen, dabei darf jeder Supermarkt, Discounter oder jede Tankstelle auch am Samstag oder Sonntag 24 Stunden lang Brötchen aufbacken.
Was erwarten Sie von der Politik?
Was wir beim Bürokratieabbau bisher gesehen haben, war nicht der große Wurf. Wir brauchen da eine konzertierte Aktion von Bund, Ländern und Gemeinden – auch zusammen mit der EU. Das Handwerk wird die für die Betriebe zunehmend untragbare Überbürokratisierung und Überregulierung im Jahr 2019 zu einem ihrer Schwerpunktthemen machen. Handwerksbetriebe wollen einfach ihre Arbeit machen.
Wie viele Betriebe haben wegen des Fachkräftemangels Probleme bei der Nachbesetzung offener Stellen?
Vor zwei Jahren waren es etwa 40 Prozent, heute ist es fast die Hälfte unserer Betriebe, die offene Stellen nur schwer neu besetzen können. Allein im Handwerk dürften rund eine Viertelmillion Fachkräfte fehlen. Wir haben es mit ganz viel Anstrengung immerhin geschafft, dass die Zahl der neuen Lehrlinge im Handwerk im Ausbildungsjahr 2018 voraussichtlich zum vierten Mal in Folge gesteigert werden konnte – und das, obwohl es seit Jahren zum einen den Trend zum Studium und zum anderen einfach schon rein zahlenmäßig weniger junge Leute gibt. Das Handwerk hat sich enorm gewandelt: Viele Bereiche sind inzwischen digitalisiert. Damit, dass man sich die Hände schmutzig machen muss, hat das moderne Handwerk in den allermeisten Fällen nicht mehr viel zu tun.
Das Interview führte Birgit Marschall und erschien am 12. Januar 2019 in der Rheinischen Post.