Wissenschaft mit Praxisbezug - Die Industrie- und Handelskammer Siegen verlieh den 33. IHK-Preis. - IHK-Preis Gruppe: Gruppenbild mit Preisträgern (v.l.): Prorektor Prof. Dr. Peter Haring Bolivar, Prof. Dr.-Ing. Claus-Peter Fritzen, IHK-Präsident Felix G. Hensel, NRW-Finanzminister Lutz Lienenkämper, IHK-Ehrenpräsident Franz Becker, Dr.-Ing. Philipp-Malte Hilgendorff, Stefanie Schneider, Sebastian Kühr und Prof. Dr. Christian Schlechtriem. - Sie haben etwas gemeinsam: Beide intensivieren den Technologietransfer zwischen der Universität Siegen und der heimischen Wirtschaft. Und beide stärken Südwestfalen als Forschungsstandort. Die Rede ist von den beiden Abschlussarbeiten, die gestern Abend für ihre herausragende wissenschaftliche Leistung mit dem 33. „IHK-Preis“ gewürdigt wurden.
IHK-Preis Schneider-Kühr
Stefanie Schneider und Sebastian Kühr haben sich in ihrer gemeinsamen Abschlussarbeit mit innovativen Testsystem zur Risikoabschätzung von Schadstoffen im Kläranlagenauslauf beschäftigt und behandeln damit „ein hoch aktuelles Thema“.
IHK-Preis Hilgendorff
Die Dissertation von Dr.-Ing. Philipp-Malte Hilgendorff wurde aufgrund der exzellenten Gesamtprüfungsleistung mit „summa cum laude“ bewertet und schon mit dem „Best Paper Award“ auf der International Conference on Fracture ausgezeichnet.
Bei der ersten Arbeit handelt es sich um eine Dissertation mit dem Titel „Mechanismenbasierte Modellierung und Simulation des VHCF-Wechselverformungsverhaltens austenitischer Edelstähle“ von Herrn Dr. Philipp-Malte Hilgendorff. „Diese herausragende Arbeit entstand im Rahmen eines interdisziplinären Projektes der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und wurde von der Promotionskommission aufgrund der exzellenten Gesamtprüfungsleistung mit ‚summa cum laude‘ bewertet“, erläuterte Felix G. Hensel, Präsident der Industrie- und Handelskammer Siegen. „Das hier behandelte Thema ‚Materialermüdung‘ besitzt für nahezu alle Bereiche des Maschinen-, Fahrzeug- und Anlagenbaus sehr große praktische Relevanz und wurde unter anderem mit dem „Best Paper Award“ auf der International Conference on Fracture ausgezeichnet.“
Die zweite Arbeit ist allein aus dem Grund schon nicht alltäglich, da sie mit Sebastian Kühr und Stefanie Schneider von zwei Absolventen geschrieben wurde. „Herr Kühr und Frau Schneider behandeln in ihrer gemeinschaftlichen Staatsexamensarbeit ein hoch aktuelles Thema“, lobte Felix G. Hensel die „spannende Fragestellung“. „Sie haben sich mit einem innovativen Testsystem zur Risikoabschätzung von Schadstoffen im Kläranlagenauslauf befasst. Ziel der vorliegenden Arbeit war die Untersuchung der Effekte von Silbernanomaterialien im Abwasser auf aquatische Organismen.“
Felix G. Hensel überreichte die mit insgesamt 4000 Euro dotierte Auszeichnung gemeinsam mit IHK-Ehrenpräsident Franz Becker sowie dessen Frau Mechthild. Die „Mechthild und Franz Becker Stiftung“, Kirchhundem, ist in diesem Jahr Stifter des IHK-Preises. Felix G. Hensel würdigte in seiner Ansprache beim Festakt im Bernhard-Weiss-Saal der IHK-Siegen die „Faszination der Wissenschaft“, die aber auch durchaus einen Nutzen für praktische Anwendung habe. Die Fragestellungen seien ein Antrieb für die Forschung, Dinge zu verstehen, zu verändern, zu verbessern. Die Voraussetzung sei jedoch, dass die Forschung gute Bedingungen vorfinde, beispielsweise die Freiheit, unabhängig zu forschen und den Forschungsgegenstand selbst zu wählen zu können, aber auch gute finanzielle Rahmenbedingungen vorzufinden.
„Die Landesregierung hat angekündigt, das Hochschulgesetz zu verändern“, äußerte sich Felix G. Hensel. Hin zu mehr Autonomie der Hochschulen, weniger Detailsteuerung durch das Land, eine stärkere Einbindung des jeweiligen Hochschulrats, Verbesserungen bei Studium und Lehre, z. B. über die Einstellung von zusätzlichem Personal für die Betreuung und Entlastung von bürokratischen Hürden. „Hoffentlich bringt das weiteren Schub in die guten Beziehungen von Universität Siegen und Region, insbesondere für die Wirtschaft“, wandte er sich an NRW-Finanzminister Lutz Lienenkämper. Dieser war der Festredner bei der Preisverleihung.
In vielen Bereichen habe sich bereits „eine recht enge Zusammenarbeit zwischen Universität und Wirtschaft herausgebildet“, sagte der IHK-Präsident. „Gerade in den technischen Studiengängen gibt es Forschungsfelder, die unmittelbaren Bezug zur Industrie haben.“ Zugleich gebe es in der regionalen Wirtschaft Entwicklungsaufgaben „en masse“, die ohne die Universität nicht zu lösen wären. Der IHK-Preis ist, so Felix G. Hensel, eine Komponente von vielen, mit denen die Kammer das Zusammenspiel von Universität Siegen und der regionalen Wirtschaft verstärke und auch sichtbar mache. Mit den Promotionsstipendien für wissenschaftliche Arbeiten mit regionalem Wirtschaftsbezug sowie den „Deutschland-Stipendien“ und der Stiftungsprofessur für Technikdidaktik wende die IHK Siegen dafür jährlich mehr als 100.000 Euro auf.
Ein wichtiger Schritt sei darüber hinaus die Gründung des Mittelstand 4.0 Kompetenzzentrums gewesen als Möglichkeit, Forschung im Bereich der Digitalisierung direkt in betriebliche Anwendung zu bringen, führte Felix G. Hensel weiter an. „Das zeigt, wie gute Kooperationen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft funktionieren.“
„Ich bin gern in Südwestfalen“, bekannte Minister Lienenkämper. „Besonders gern zu Preisverleihungen und wenn es um junge Forscher geht.“ Sie seien „innovativ, engagiert, ganz besonders praxisorientiert“ – wie Südwestfalen überhaupt. Und sie lieferten Belege, dass sich harte Arbeit lohne – wie die hiesigen Unternehmen. „Südwestfalen ist ein Zentrum des Fortschritts, es ist die Industrieregion Nr. 3 in Deutschland und die unbestrittene Nr. 1 in Nordrhein-Westfalen – mehr als 150 Weltmarktführer sind hier zu finden“, lobte Lutz Lienenkämper. „Beispielsweise gibt es hier sehr viele Unternehmen und Forschungsinstitute, die in Fragen der Digitalisierung bereits sehr gut aufgestellt sind.“ So sei das Mittelstand 4.0.Kompetenzzentrum Siegen „ein beispielgebendes Projekt, um kleinere Unternehmen zu unterstützen“. Gemeinsam mit diesen Akteuren „wollen wir als Landesregierung den digitalen Wandel unseres Landes gestalten. Hierfür werden wir die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen“.
Auch das Gründen von Unternehmen soll vereinfacht werden, kündigte der Minister an. Vor dem Hintergrund, dass Bill Gates in NRW niemals in einer Garage das Weltunternehmen Microsoft hätte gründen können, weil er allein schon an der Baunutzungsverordnung gescheitert wäre, denke die Landesregierung jetzt u.a. „darüber nach, Gründern ein bürokratiefreies erstes Gründerjahr zu geben“. Erleichterungen solle es auch für Start-ups geben, die unmittelbar aus der Hochschule kämen. Stichwort Hochschulen: Deren Niveau möchte die Landesregierung ausbauen, ihnen mehr Entscheidungsfreiheit geben. „Der Hochschulentwicklungsplan wird abgeschafft“, kündigte Lutz Lienenkämper an. Und an die Preisträger gewandt sagte er: „Sie tragen hoffentlich dazu bei, dass andere junge Forscher von Ihnen angespornt werden, dass Südwestfalen auch weiterhin eine wichtige Rolle in Nordrhein-Westfalen spielen wird.“
Dr.-Ing. Philipp-Malte Hilgendorff fertigte seine Dissertation in der Fakultät IV (Naturwissenschaftlich-Technische Fakultät), Department Maschinenbau, der Universität Siegen an und schloss diese erfolgreich mit „Summa cum laude“ ab. Dabei gehe es im Prinzip um Materialermüdung, die durch die an technischen Konstruktionsbauteilen fast immer vorliegenden wechselnden mechanischen Belastungen hervorgerufen wird, erläutert Prof. Dr.-Ing. Claus-Peter Fritzen, der die Arbeit gemeinsam mit Prof. Dr.-Ing. Martina Zimmermann von der TU Dresden begutachtet hat, in seinem Empfehlungsschreiben für den IHK-Preis. „Leider macht Materialermüdung häufig im Zusammenhang mit spektakulären Schadensfällen von sich reden.“ So gehe man davon aus, dass mehr als 90 Prozent aller Schäden an technischen Systemen auf Materialermüdung zurückzuführen seien. Der gleichermaßen ökologische wie ökonomische Zwang zur optimalen Werkstoff- und Energienutzung verschärfe dieses Problem zunehmend und stärke die Bedeutung von Leichtbaukonzepten, die ihrerseits eine genaue und zuverlässige Vorhersage der Ermüdungslebensdauer fordern. Gleichzeitig führe die ständige Verbesserung der Werkstoffherstellungs- und der Bearbeitungstechnologien zu Konstruktionswerkstoffen mit immer weniger und kleineren inneren und äußeren Defekten. Für die Lebensdauer bei Wechselbelastung, wie sie typischerweise in Strukturbauteilen auftritt, bedeutet dies eine Zunahme des Lebensdaueranteils für die Phasen der Rissinitiierung und der Kurzrissausbreitung, wohingegen die Ausbreitung eines einmal entstandenen langen Risses schnell erfolge und somit anteilmäßig kaum zur Gesamtlebensdauer beitrage. Prof. Fritzen: „Gerade die erstgenannten Stadien der Schädigungsentwicklung sind stark durch die Mikrostruktur des betrachteten Werkstoffs geprägt und daher häufig nur sehr schwierig modellmäßig zu beschreiben.“ In der Praxis kämen hohe Lastzyklenzahlen durchaus häufig vor, zum Beispiel bei Wälzlagern, bei Komponenten von Schienenfahrzeugen oder Flugtriebwerken.
Bei der Abschlussarbeit „Experimentelle Untersuchungen zur Wirkung von Silbernanomaterialien im Abwasser auf Süßwasseramphipode Hyalella azteca“ des Duos Schneider/Kühr handelt es sich um eine Staatsexamensarbeit zum Abschluss des Lehramtsstudiums für Gymnasien und Gesamtschulen. Die Studien zu dieser Arbeit wurden vom Fraunhofer Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie (IME) finanziert und von den beiden Studierenden am Institutsstandort in Schmallenberg in der Abteilung von Prof. Dr. Christian Schlechtriem durchgeführt. Die Arbeit hatte die Entwicklung und Validierung eines Testsystems zur Risikoabschätzung von Schadstoffen im Kläranlagenauslauf zum Thema, um den Einfluss des Reinigungsprozesses in der Kläranlage auf die Wirkung von Silbernanomaterialien im Abwasser zu untersuchen. Ergebnis: „Im Vergleich zu unbehandelten Nanomaterialien kann der Klärprozess zu einer veränderten, in diesem Fall verminderten, ökotoxikologischen Wirkung der Nanomaterialien führen“, erklärt Erstgutachter Prof. Dr. Christian Schlechtriem, Honorarprofessor der Universität Siegen. „Die im Rahmen der Laborstudien erzielten Ergebnisse sind von hoher Qualität und beweisen die Eignung des dargestellten Testsystems für die Prüfung des Einflusses von Schadstoffen, die über die kommunale Kläranlage in die Umwelt gelangen.“ Mehr noch: Die schriftliche Hausarbeit liefere die Basis für die weiterführenden Untersuchungen zur Risikoabschätzung von Schadstoffen im Kläranlagenauslauf. Das wird von Zweitgutachter Univ.-Prof. Dr. Hans Merzendorfer (Universität Siegen) bestätigt.
Mit dem IHK-Preis werden seit 33 Jahren die beste Dissertation sowie die beste praxisorientierte Masterarbeit des Akademischen Jahres in den Bereichen Architektur, Wirtschaftswissenschaften, Wirtschaftsinformatik, Wirtschaftsrecht oder Natur- und Ingenieurwissenschaften der Universität Siegen ausgezeichnet.
Philipp-Malte Hilgendorff
„Mechanismenbasierte Modellierung und Simulation des VHCF-Wechselverformungsverhaltens austenitischer Edelstähle“
Philipp-Malte Hilgendorff, Jahrgang 1985, hat 2005 sein Abitur am Städtischen Gymnasium am Löhrtor in Siegen abgelegt. Er schloss sein Maschinenbaustudium an der Universität Siegen 2011 mit dem Diplom innerhalb der Regelstudienzeit von 9 Semestern mit der Gesamtnote „mit Auszeichnung (1,1)“ abgeschlossen. Während dieser Zeit war er bereits in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr.-Ing. Claus-Peter Fritzen als studentische Hilfskraft tätig. Unmittelbar im Anschluss an sein Studium übernahm Hilgendorff in dieser Arbeitsgruppe eine der beiden wissenschaftlichen Mitarbeiterstellen im Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) „Life ∞ – Unendliche Lebensdauer für zyklisch beanspruchte Hochleistungswerkstoffe“ DFG-Verbundprojekt und fertigte im Rahmen dieser Tätigkeit eine Dissertation an. Er schloss das Promotionsverfahren mit der mündlichen Prüfungsleistung am 13. April 2017 mit Auszeichnung ab. Inzwischen arbeitet er bei der Firma Otto Fuchs KG in Meinerzhagen und befasst sich dort im Bereich Vorentwicklung schwerpunktmäßig mit der werkstoffmechanischen Simulation.
Stefanie Schneider / Sebastian Kühr
„Experimentelle Untersuchungen zur Wirkung von Silbernanomaterialien im Abwasser auf Süßwasseramphipode Hyalella azteca“
Stefanie Schneider, Jahrgang 1985, stammt aus Kirchhundem. Sie machte 2005 am Städtischen Gymnasium Lennestadt ihr Abitur. Anschließend absolvierte sie eine dreijährige Ausbildung zur Chemielaborantin bei der Firma Umwelttechnik Lindenschmidt in Krombach. In diesem Beruf arbeitete sie mehr als zwei Jahre, bevor sie im Wintersemester 2010 das Lehramtsstudium in den Fächern Biologie und Chemie aufnahm. Die Erste Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen legte Stefanie Schneider im November 2016 ab. Seit Mai 2017 befindet sie sich im Referendariat.
Sebastian Kühr, Jahrgang 1989, stammt aus Olpe. Er schloss seine Schullaufbahn 2008 am Städtischen Gymnasium in Olpe ab. Nachdem er zunächst Chemie studierte, widmete er sich 2010 ebenfalls dem Lehramtsstudium für Gymnasien und Gesamtschulen in den Fächern Biologie und Chemie. Im Juni 2017 legte er die Erste Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen ab. Statt einer Laufbahn an einer Schule entschied er sich für eine wissenschaftliche Laufbahn als Doktorand am Fraunhofer Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie IME in Schmallenberg.
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