Im Interview mit der Rheinischen Post spricht ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer über die berufliche Bildung, die Herausforderungen der Integration und die Folgen politischer Entscheidungen auf die Wirtschaft. - In der Hochkonjunktur boomt auch das Handwerk. Steigen nun die Preise für Handwerksleistungen? Nicht überproportional, aber unsere Betriebe müssen natürlich schon gestiegene Material- oder Lohnkosten bei ihren Kalkulationen berücksichtigen. Das macht sich dann teils auch in höheren Absatzpreisen bemerkbar. 2017 hatten wir im Gesamthandwerk ein Umsatzplus von 3,4 Prozent. Für 2018 prognostizieren wir ein Plus von drei Prozent. Ein nicht unerheblicher Teil dieses Umsatzzuwachses ist eben auf steigende Materialpreise und die im letzten Jahr recht deutlich gestiegenen Lohnkosten zurückzuführen. Die Auftragsbücher im Handwerk sind voll, wir sind tüchtig ausgelastet.
Im Schnitt muss man im Moment acht Wochen auf einen Handwerker warten, in den Bau- und Ausbaugewerken sogar rund zehn Wochen.
Das Handwerk leidet unter Personalmangel. Müssen die Betriebe deshalb höhere Löhne versprechen?
Der Personalmangel hat seine tiefere Ursache nicht in der guten Konjunktur, sondern darin, dass seit Jahren die Zahl der Schulabgänger pro Jahrgang zurückgeht und aus dieser kleiner gewordenen Gruppe von Schulabgängern immer mehr studieren wollen, statt eine Ausbildung anzufangen. Zu lange hat man Jugendlichen eingeredet, nur mit einem Abi und Studium in ein erfolgreiches Berufsleben starten zu können. Tatsächlich zeigt eine Reihe von Akademikerlebensläufen, dass sich das als Sackgasse erwiesen hat. Im Handwerk gibt es vielfältigste Karriereperspektiven. Und im Übrigen sind auch die Verdienste im Handwerk alles andere als schlecht: Die Vorarbeiter in meinem Betrieb verdienen 19 Euro pro Stunde, meine Facharbeiter über 16 Euro.
Bekommen Sie wegen des Akademisierungstrends nur die schlechteren jungen Leute für die Ausbildung?
Im Handwerk sind derzeit offiziell rund 150.000 Stellen offen. Vermutlich sind es aber sogar fast doppelt so viele Stellen, wo wir Bedarf haben, und die wir kurzfristig besetzen könnten. Wir haben allein im vergangenen Jahr 50.000 neue Leute eingestellt, das waren schon doppelt so viele wie ein Jahr zuvor, aber immer noch zu wenig. 15.000 Lehrstellen blieben im vergangenen Jahr unbesetzt. Deshalb müssen wir noch stärker um Jugendliche werben und um die klugen Köpfe und flinken Hände kämpfen. Das deutsche Handwerk ist immer noch Ausbilder der Nation: Mehr als ein Viertel aller jungen Leute werden im Handwerk ausgebildet. Es ist so, dass manche Betriebe Aufträge nicht mehr annehmen können, weil ihnen schlicht das Personal fehlt, und sie es einfach nicht mehr schaffen. Das ist etwa im Bereich Haustechnik so, bei Sanitär, Heizung und Elektrik, aber auch bei den Fleischern und Bäckern oder im Hoch-, Tief- und Straßenbau.
Wie bewerten Sie die von der großen Koalition geplante Einführung eines Mindestlohns für Auszubildende, die so genannte Mindestausbildungsvergütung?
Ich kenne außer Deutschland überhaupt nur wenige Länder der Welt, in denen die Ausbildung vergütet wird. Und man darf auch nicht Äpfel mit Birnen vergleichen: Es handelt sich bei der Ausbildungsvergütung nicht um einen Lohn, sondern um einen Zuschuss zum Lebensunterhalt. Dazu kommen dann auch noch das Kindergeld und andere soziale Förderungen. Lehrjahre sind Lernjahre. Azubis sind noch keine vollwertigen Arbeitskräfte, sondern lernen noch. Auch ein Student bekommt während seiner Ausbildung schließlich keine Ausbildungsvergütung, dafür hat er aber Vergünstigen wie zum Beispiel ein Semesterticket. Wir würden uns wünschen, es gäbe auch ein Azubi-Ticket.
Wollen Sie die Löhne für Lehrlinge also lieber abschaffen?
Nein! Es soll auch künftig vernünftige Ausbildungsvergütungen geben. Ein Hochbauer bekommt im dritten Lehrjahr über 1400 Euro im Monat. Aber darüber sollten auch weiter die Sozialpartner entscheiden und nicht die Bundesregierung. Wir sind große Freunde der Tarifautonomie. Wir wollen auf keinen Fall, dass die Tarifautonomie ausgehebelt wird. Deshalb halten wir eine Mindestausbildungsvergütung für ebenso unnötig wie tarifpolitisch gefährlich.
Die Digitalisierung bedeutet vor allem für kleine Betriebe eine große Herausforderung. Wie helfen Sie da?
Wir haben zusammen mit dem Bundeswirtschaftsministerium das Kompetenzzentrum Digitales Handwerk ins Leben gerufen. In bundesweit fünf Schaufenstern werden betriebliche Einsatzmöglichkeiten digitaler Technologien gezeigt und illustriert und den Betrieben ganz konkrete Hilfestellung bei der praktischen Umsetzung gegeben. Die Digitalisierung wirkt sich natürlich auch auf die Arbeitszeiten aus: Ein zu enges Arbeitszeit-Korsett und zu starre und unflexible arbeitsrechtliche Vorschriften tun der Wirtschaft nicht gut. Wir hoffen, dass der neue Bundesarbeitsminister Hubertus Heil bereit ist, mehr Flexibilität bei Arbeitszeiten und im Arbeitsrecht zuzulassen.
Im Koalitionsvertrag von Union und SPD sind viele neue Rentenpläne angelegt. Befürchten Sie in den kommenden Jahren einen Anstieg der Sozialbeiträge, die Arbeitnehmer und Arbeitgeber je zur Hälfte zahlen?
Die Ausweitung der Mütterrente oder die Entlastung von Solo-Selbstständigen in der Krankenversicherung sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben, die deshalb aus Steuern und nicht aus Beiträgen finanziert werden sollten. Es kann nicht sein, dass gesetzliche Kranken- und Rentenversicherte immer wieder Aufgaben finanzieren, die eigentlich von der gesamten Gesellschaft mitgetragen werden sollten. Die schwarze Null wird also finanziert von den Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Wenn man sich all die ausgabenrelevanten Vorhaben der Groko ansieht, dann kann man schon befürchten, dass bei den Lohnnebenkosten die 40-Prozent-Haltelinie gerissen wird. Immerhin hat uns die Bundeskanzlerin zugesichert, dass das in dieser Legislaturperiode nicht passieren wird.
Das Interview führte Birgit Marschall und erschien am 3. April 2018 in der Rheinischen Post.
Zentralverband des Deutschen Handwerks e.V.