„Dem Handwerk gehen die Fachkräfte aus, was keine überraschende Entwicklung ist, sondern eine, auf die wir bereits seit Jahren hinweisen und immer wieder gefordert haben, sich mehr um die berufliche Ausbildung zu kümmern. Aber wirklich Gehör finden diese Warnungen erst, seit viele in ihrem Alltag selbst erleben, wie schwierig es ist, einen Handwerker für einen Auftrag zu bekommen. Unsere Betriebe suchen händeringend nach Fachkräften, aber geeignetes Personal zu finden wird immer schwieriger. Momentan dürften um die 250.000 Stellen im Handwerk unbesetzt sein. Manche Bäcker und Metzger schließen bereits an einem Tag der Woche, weil sie nicht genügend Personal haben. Andere Betriebe müssen leider Aufträge ablehnen, weil ihnen die Mitarbeiter fehlen, um sie abzuarbeiten. Und bei den Aufträgen, die sie angenommen haben, kommen viele Betriebe an ihre Grenzen, was in der Konsequenz zu langen Wartezeiten bei den Kunden führt. Glauben Sie mir: Das gefällt den Betrieben natürlich ganz und gar nicht. Denn Handwerker wollen anpacken und etwas schaffen.“
ZDH-Präsident Wollseifer geht optimistisch ins neue Jahr, fordert jedoch von der Regierung, ihren Kurs auf "Zukunftsgestaltung" auszurichten.
Ist die deutsche Wirtschaft fit für die Zukunft?
Die deutsche Wirtschaft ist derzeit stark und noch das Zugpferd in Europa. Mit ihrem Fundament aus hervorragend ausgebildeten Fachkräften und Experten und mit ihrer Innovationskraft hat sie das Potenzial für eine gute Zukunft. Damit die deutsche Wirtschaft ihre Stärken jedoch auch künftig ausspielen kann, müssen die richtigen Weichen gestellt werden. Dazu gehören schnelle Datenverbindungen und faire Strompreise für die Betriebe ebenso wie ein international wettbewerbsfähiges Steuersystem mit einer reformierten Unternehmenssteuer und ein Arbeitsrecht, das Flexibilität nicht durch Überregulierung drosselt. Dazu gehört auch der weitere Abbau unnötiger Bürokratie. Besonders wird es aber darum gehen, Fachkräfte für die Zukunft zu sichern. Schon jetzt können im Handwerk Aufträge nicht mehr zusätzlich übernommen werden, weil das Personal fehlt, um sie abzuarbeiten. Der Fachkräftemangel hinterlässt bereits Bremsspuren beim Wachstum, die noch stärker werden, wenn nicht mehr junge Menschen für eine berufliche Ausbildung gewonnen werden. Deswegen brauchen wir unbedingt eine Bildungswende – die berufliche Bildung muss dringend gestärkt werden, damit sie für junge Menschen wieder attraktiver wird. Für den von uns lange geforderten und im Koalitionsvertag vereinbarten Berufsbildungspakt muss endlich Geld in die Hand genommen werden. Die Stärkung der beruflichen Ausbildung wird für unseren künftigen wirtschaftlichen Erfolg entscheidend sein.
Überwiegen bei Ihnen derzeit die Sorgen oder die positiven Erwartungen für das nächste Jahr?
Im Handwerk gehen wir durchaus optimistisch ins kommende Jahr. Die sehr gut laufende Konjunktur wird im Handwerk anhalten, wenn auch vermutlich etwas weniger stark als 2018. Wir rechnen mit erneutem Umsatzwachstum in Höhe von drei bis vier Prozent. Die Betriebe sind auf Monate hin ausgelastet. An allen Enden fehlen allerdings Fachkräfte, um noch mehr zu stemmen. Das kommende Jahr ist das Jahr der Europawahl, die sich als entscheidender Indikator für die gesellschaftlichen und politischen Strömungen erweisen wird, mit denen wir es in der Zukunft zu tun haben werden. In vielen Mitgliedsländern der EU erleben wir eine zunehmende gesellschaftliche Spaltung und viele Menschen empfinden Politik als abgekoppelt von ihrer Lebensrealität. Auch in Deutschland gibt es eine stark ausgeprägte Abstiegs- und Zukunftsangst. Es wird eine der entscheidenden Herausforderungen für die deutsche Regierung im kommenden Jahr sein, glaubhafte und realitätsbezogene Lösungen zu präsentieren und unter Beweis zu stellen, dass sich beim Breitbandausbau, beim Wohnungsbau, bei der Infrastrukturverbesserung, in der Bildung tatsächlich etwas nach vorne bewegt, um auf diese Weise populistischen Vereinfachungen den Boden entziehen.
Welches der aktuellen außenwirtschaftlichen Mega-Probleme – Trump-Handelspolitik, Italien/Europa, Brexit, Russland/Ukraine – hat für Sie derzeit die größte Sprengkraft? Droht hier bei Fehlentwicklungen schlimmstenfalls gar eine Rezession?
Zunehmende nationale Abschottung erweist sich derzeit leider als vorherrschender Trend in der Handels- und Außenpolitik. Das ist weder hilfreich, wenn es um die transatlantischen Handelsbeziehungen geht, noch bei denen zwischen den Europäischen Staaten. Denn eines ist doch klar: Die Digitalisierung und die damit einhergehende Globalisierung machen nicht an nationalen Grenzen Stopp. Abschottung und Handelsbarrieren können deshalb nicht die Antwort auf die wirtschaftlichen Anpassungs- und Wandlungsprozesse unserer Zeit sein, das ist der völlig falsche Weg. Das spüren die Ersten schon jetzt: Wird der Brexit vollzogen, sind die Folgen für die britische Wirtschaft und Gesellschaft zwar nicht genau absehbar, aber dass sie vor allem negativ sein werden, dafür bedarf es keiner prophetischen Begabung.
In welchen Bereichen muss die Politik in den nächsten zwölf Monaten unbedingt handeln, um dem rückläufigen Wachstum wieder Impulse zu geben?
Wir brauchen dringend Investitionen in die Zukunft. Zur Fachkräftesicherung muss Geld in die Hand genommen und damit die berufliche Ausbildung so gefördert werden, dass Berufsschulen und die Bildungszentren des Handwerks in ihrer Ausstattung am Puls der Zeit und damit auch für junge Menschen attraktiv sind. Um Fachkräfte zu gewinnen, müssen noch besser alle inländischen Potenziale erschlossen werden – Frauen, Langzeitarbeitslose, Menschen mit Migrationshintergrund. Ein weiterer Baustein an dieser Stelle ist es, gezielt qualifizierte Fachkräfte von außen anzuwerben. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz muss deshalb zügig beschlossen und umgesetzt werden. Dringend investiert werden muss in die Verbesserung der Verkehrs- und der Digital-Infrastruktur. Nachhaltiges Wachstum wird aber nur entstehen, wenn man den Betrieben wieder Luft zum Atmen gibt und aufhört, sie immer stärker steuerlich, beitragsmäßig und regulatorisch zu belasten. Die Sozialabgaben dürfen keinesfalls die 40-Prozent-Grenze überschreiten. Hier ist die maximale Belastung erreicht. Unsere Handwerksbetriebe brauchen zudem endlich Klarheit darüber, welche Dieselnachrüstungen sie vornehmen können, und wer das in welchen Anteilen finanziert. Hier muss die Autoindustrie als Verursacher des Problems noch stärker in die Verantwortung genommen werden.
Angesichts von Parteienstreit und Führungsproblemen: Ist die deutsche Politik derzeit eher Belastung, Bremser oder doch immer noch Hilfsmotor für die Unternehmen?
Im vergangenen Jahr stand die deutsche Politik eindeutig auf der Bremse. Sie hat wenig geleistet, um die Wirtschaft voranzubringen, und das, was sie auf den Weg gebracht hat, wird für Betriebe und Unternehmen bei Sozialabgaben und arbeitsrechtlichen Vorschriften ein Mehr an Belastung zur Folge haben. Ausgezeichnet hat sich die Regierung vor allem durch unsägliche und quälend lange Streitereien. Unsere Betriebe könnten beim Soli, bei der Thesaurierungsrücklage oder bei Abschreibungsbedingungen entlastet werden, ohne damit eine Schieflage des Staates zu riskieren. Im Unterschied zu uns nutzen andere Staaten ihr Steuerrecht, um ihren Unternehmen bestmögliche Rahmenbedingungen für Investitionen und Beschäftigung zu bieten. Was wir stattdessen in Deutschland sehen, sind ständig steigende Sozialausgaben, die einen geringen gesellschaftlichen Mehrwert für die Gegenwart bringen, aber ganz erheblich auf Kosten der nachfolgenden Generationen gehen; oder die - wie bei der Rente - manche im Jetzt begünstigen, wofür in Zukunft dann alle höhere Beiträge in Kauf nehmen müssen. Das ist keine nachhaltige Politik und das ist weder verantwortungsvoll noch generationengerecht. Geld, das jetzt mit vollen Händen für Soziales, Rente, Arbeitsmarkt und Gesundheit verteilt wird, sollte bereits erwirtschaftet sein und nicht lediglich eine Anleihe auf die Zukunft sein. Das wird sich in der Zukunft rächen und Wachstum bremsen. Deswegen muss die Regierung jetzt endlich ihren Kurs auf Zukunftsgestaltung ändern und wegkommen von der reinen Gegenwartsverwaltung.
Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH)
Mohrenstraße 20/21, 10117 Berlin