Nach neun konjunkturell guten Jahren wurde das hessische Handwerk im vergangenen Jahr aufgrund der Corona-Pandemie konjunkturell stark belastet. Bei der Vorstellung des Konjunkturberichts für das Jahr 2020 machte der Präsident des Hessischen Handwerkstages (HHT), Stefan Füll, deutlich, dass die hessische Handwerkskonjunktur im Frühjahr 2020 zunächst stark eingebrochen sei, sich dann etwas erholte und zum Jahresende wieder abgebremst wurde. „Der erste Lockdown im Frühjahr hat dabei einen deutlich tieferen Fußabdruck hinterlassen als die Maßnahmen im Dezember“, so Füll. Die Geschäftslage vieler Betriebe habe sich deutlich verschlechtert. Nur noch 35 Prozent (Vorjahr 50 Prozent) beurteilten ihre Geschäftslage als „gut“, während 30 Prozent (Vorjahr 10 Prozent) sie als „schlecht“ bezeichneten. Füll: „Es ist der guten Entwicklung im Herbst zu verdanken, dass diese Bilanz nicht noch schlechter ausgefallen ist.“ Die Corona-Pandemie habe alle Bereiche des Handwerks negativ betroffen, aber Füll zufolge gebe es große Unterschiede zwischen den einzelnen Branchen. So sei die Situation der mehr als 6.000 Friseurbetriebe und ihrer Beschäftigten in Hessen besonders schwierig. Jeder zweite Betrieb berichtete 2020 von einer schlechten Geschäftslage. Das Bauhandwerk hingegen zeigte sich recht widerstandsfähig. Hier bewerteten nur rund 15 Prozent der Betriebsinhaber ihre Geschäftslage als „schlecht“.
Mehr Betriebe, weniger Beschäftigte
Trotz dieser Entwicklung führte die Corona-Krise noch nicht zu einer negativen Entwicklung der Betriebszahlen. So gab es zum 31. Dezember 2020 in Hessen 76.037 Handwerksbetriebe, was einer Zunahme von 525 Betrieben oder 0,7 Prozent entspricht. Füll wies darauf hin, dass es bei den Maurern, Dachdeckern und Zimmerern Zuwächse, hingegen bei den Fliesen-, Platten- u. Mosaiklegern und den Raumausstattern starke Rückgänge gab. Die Auswirkungen auf die Beschäftigtensituation im hessischen Handwerk waren bislang moderat: nur 15 Prozent der Betriebe beschäftigten weniger Menschen als im Jahr zuvor. „Ein klarer Beleg dafür, dass Handwerksbetriebe versuchen, ihre Beschäftigten auch in Krisenzeiten zu halten“, meinte Füll.
Die hessischen Handwerksbetriebe blicken besorgt auf das Jahr 2021. „Viele Betriebe haben ihre Reserven aufgebraucht und es wird darauf ankommen, dass staatliche Hilfen schnell und auskömmlich fließen“, so der Handwerkspräsident. „Rückenwind könnte der Konsum geben, denn viele private Haushalte haben so gespart wie nie zuvor und die Abschaffung des Solidaritätszuschlags für breite Bevölkerungsgruppen erhöht die verfügbaren Einkommen.“
Pandemie mit deutlichen Auswirkungen auf den Ausbildungsmarkt
Die Corona-Pandemie hat nicht nur bei der Konjunktur, sondern auch auf dem Ausbildungsmarkt des hessischen Handwerks ihre Spuren hinterlassen. HHT-Vizepräsident Wolfgang Kramwinkel gab bekannt, dass im Erhebungszeitraum vom 1. Oktober 2019 bis zum 30. September 2020 lediglich 9.129 neu eingetragene Lehrverträge verzeichnet werden konnten. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum entspricht dies einem Rückgang von 1.228 Lehrverträgen, oder einem Minus von 11,9 Prozent.
Die Gründe für diese Entwicklung seien vielfältig: „Unsere Betriebe haben teilweise mit finanziellen Engpässen, eingebrochenen Aufträgen und temporären Schließungen zu kämpfen. Und auf der anderen Seite hat auch der Kontakt zu potenziellen Lehrlingen gefehlt, da Corona Betriebspraktika und Ausbildungsmessen verhindert hat“, so Kramwinkel. Hinzukomme, dass Schulen zeitweise schließen mussten und auch dadurch keine ausreichende Berufsorientierung organisiert wurde. Kramwinkel: „Praktika, bei denen junge Menschen einen Betrieb und der Betrieb auch die jungen Menschen kennenlernen konnte, müssen bald wieder möglich werden.“
Zudem wurden im vergangenen Jahr 363 Geflüchtete weniger in Ausbildung gebracht als im Jahr davor. 2019 konnten die drei hessischen Handwerkskammern Wiesbaden, Kassel und Frankfurt-Rhein-Main 1.143 Lehrverträge mit Geflüchteten schließen. 2020 waren es nur 775, was einem Rückgang von 32,2 Prozent entspreche.
Kommunalwahl: Handwerk für mittelstandsfreundliche Auftragsvergabe
Mit Blick auf die hessischen Kommunalwahlen am 14. März 2021 verwies HHT-Geschäftsführer Bernhard Mundschenk auf die traditionelle Verbindung von Handwerk und Kommunen. Auf der einen Seite spiele das Handwerk eine wesentliche Rolle für den regionalen Arbeits- und Ausbildungsmarkt, auf der anderen Seite seien die Kommunen wichtige Auftraggeber für Handwerksbetriebe. Handwerksbetriebe benötigen Mundschenk zufolge zukunftsfähige Standorte, die hinsichtlich verkehrsmäßiger und digitaler Infrastruktur funktionsgerecht erschlossen, ausreichend kleinzellig parzelliert, kurzfristig verfügbar und langfristig bezahlbar seien. Die Auftragsvergabe müsse mittelstandsfreundlich sein. „Die Vorschriften der VOB und VOL bei der Vergabe öffentlicher Aufträge durch die Kommunen müssen strikt eingehalten werden“, forderte Mundschenk.
Den Zuschlag dürfe nicht das billigste, sondern sollte das wirtschaftlichste Angebot erhalten. Kriterien wie Qualität, Lebensdauer und Nachhaltigkeit, Zweckmäßigkeit sowie Wartung und Betreuung vor Ort sollten berücksichtigt werden und rechtfertigen langfristig auch einen höheren Auftragswert. Mundschenk: „Aus der Vergabe möglichst herausgehalten werden sollten zusätzliche bürokratische und vergabefremde Kriterien.“
Hessischer Handwerkstag
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